Berlin, 13. Dezember 2019 - Die Bundesjustizministerin hat heute einen Gesetzesentwurf vorgestellt, mit dem Rechtsextremismus und Hasskriminalität im Internet bekämpft werden soll.
Dazu erklärt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder:
„Vorweg: Bitkom setzt sich mit Nachdruck dafür ein, dass Rechtsextremismus und Hasskriminalität im Internet konsequent bekämpft und strafrechtlich verfolgt werden. Unstrittig ist auch, dass Online-Plattformen und soziale Netzwerke im Kampf gegen Hasskriminalität zur aktiven Mitwirkung verpflichtet sind. Doch das jetzt vorgestellte Gesetz wirft Grundwerte über Bord, die unser Zusammenleben online wie offline seit Jahrzehnten prägen. Statt das NetzDG gewissenhaft auf Wirkungen und Nebenwirkungen zu überprüfen, kommt kurz vor Weihnachten und auf den letzten Drücker der nächste überhastete Vorstoß gegen ein lange bekanntes Problem. Herausgabe vertraulicher Passwörter ohne richterlichen Beschluss, automatisierte Weiterleitung von IP-Adressen in Verdachtsfällen - wir sind erstaunt, dass solche Vorschläge aus jenem Ministerium propagiert werden, das sich den Datenschutz besonders groß auf die Fahnen geschrieben hat.
Hochproblematisch ist zunächst, dass die Polizei künftig auf einfaches Ersuchen hin die Nutzerpasswörter von allen Telemediendiensteanbietern verlangen kann. Dazu genügt die Aufforderung einer Behörde oder Polizeidienststelle, ein richterlicher Beschluss ist nicht nötig. Hier werden nicht nur die großen sozialen Netzwerke in die Pflicht genommen, sondern ebenso die Anbieter von Internetzugängen und zahlreiche weitere Online-Unternehmen. In vielen Fällen verfügen diese Unternehmen überhaupt nicht über die Passwörter, da sie ausschließlich verschlüsselt hinterlegt sind und aus gutem Grund von den Mitarbeitern der Unternehmen nicht eingesehen werden können. Man kann nur beten, dass auch kleine und schlecht ausgestattete Stellen solche hochkritischen Daten zu jedem Zeitpunkt sicher vor unzulässigen Zugriffen schützen können.
Kritisch sehen wir zudem die Verpflichtung für Diensteanbieter, eventuell strafbare Inhalte nicht nur zu löschen, sondern sie unaufgefordert mitsamt der IP-Adresse und Portnummer des Nutzers dem Bundeskriminalamt mitzuteilen. Gerade bei Meinungsäußerungen ist die Strafbarkeit in vielen Fällen keineswegs offensichtlich. Es wird sich nicht vermeiden lassen, dass Inhalte und Daten von völlig harmlosen Nutzern, die sich nichts zu Schulden kommen ließen, an das BKA weitergeleitet werden. Unverhältnismäßige Eingriffe in die Privatsphäre der Nutzer sind damit vorprogrammiert.
Derzeit löschen die sozialen Netzwerke Inhalte meist nach ihren sogenannten Community Standards, in wenigen verbliebenen Einzelfällen auch nach NetzDG. Nun soll das Verfahren faktisch umgekehrt werden, wodurch eine Flut gemeldeter Vorfälle ausgelöst wird. Eine hoffnungslose Überlastung der Behörden ist jetzt schon absehbar. Bei den Behörden werden dadurch Massen persönlicher Daten angesammelt, die letztlich mit der notwendigen Aufmerksamkeit gar nicht ausgewertet werden können. Bereits heute fehlen den Behörden die zur wirksamen Strafverfolgung notwendigen Ressourcen. Zwar ist zumindest eine neue Zentralstelle beim BKA geplant, die betroffenen Staatsanwaltschaften werden aber nicht aufgestockt.
Eine wirksame Strafverfolgung im Internet gibt es nicht zum Nulltarif. Wer mehr Daten will und dafür massive Eingriffe in die Privatsphäre der Menschen in Deutschland plant, muss zunächst einmal jene Ressourcen bereitstellen, die es zur verantwortungsvollen Verarbeitung dieser Daten braucht. Mit diesem Gesetz entledigt sich der Staat einiger besonders sensibler Kernaufgaben, überträgt sie an privatwirtschaftliche Unternehmen und stiehlt sich damit aus seiner ureigensten Pflicht – der Bekämpfung von Straftaten im Netz.“