Berlin, 22. März 2022 - Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird von Cyberangriffen begleitet. Die Auswirkungen sind auch in Deutschland zu spüren und die Menschen im Land sorgen sich vor einer Eskalation im digitalen Raum. Drei Viertel (75 Prozent) der Deutschen haben aktuell Angst vor einem Cyberkrieg gegen die Bundesrepublik, 20 Prozent befürchten, dass eine digitale Eskalation in einen konventionellen militärischen Konflikt münden könnte. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom, für die mehr als 1.000 Personen ab 16 Jahren im März dieses Jahres telefonisch befragt wurden. „Die weit verbreiteten Sorgen vor einem Cyberkrieg gegen Deutschland müssen wir ernst nehmen“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. „Von den kritischen Infrastrukturen bis zu den PCs und Smartphones in den Haushalten müssen wir Deutschland widerstandsfähiger gegenüber Angriffen von außen machen.“
Nur eine Minderheit ist der Meinung, dass die Bundeswehr ausreichend ausgestattet ist, um Deutschland im Cyberraum zu verteidigen. 87 Prozent sehen die Truppe dazu nicht in der Lage, nur 10 Prozent glauben an die Verteidigungsfähigkeit des deutschen Militärs im Cyberraum. Das kürzlich von der Bundesregierung vorgestellte Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro zur Stärkung der Bundeswehr erachten entsprechend viele Menschen als zu niedrig; für 48 Prozent sind die Mittel nicht ausreichend. 38 Prozent halten die Höhe für genau richtig, weniger als ein Zehntel (9 Prozent) findet die Ausgaben zu hoch, wobei 4 Prozent der Bundeswehr grundsätzlich keine zusätzlichen Gelder zur Verfügung stellen wollen.
Um sich künftig vor Cyberangriffen oder -kriegen zu schützen, setzt ein Großteil der Bevölkerung auf gezielte Vorbereitungen und entsprechend höhere Investitionen. 76 Prozent fordern, der Staat solle zusätzliche Wirtschaftssanktionen für den Angriffsfall in der Hinterhand haben. Rund sieben von zehn Befragten (72 Prozent) fordern Investitionen in die Sicherheit kritischer Infrastruktur, also etwa in den Schutz von Krankenhäusern oder Strom- und Wassernetzbetreibern. 67 Prozent wollen Investitionen in Cyberabwehr-Einheiten der Bundeswehr forcieren, 65 Prozent wünschen sich den Aufbau eines digitalen Katastrophenschutzes und knapp sechs von zehn Personen (57 Prozent) sind der Meinung, es brauche Notfallschulungen der Bevölkerung zu digitalen Abwehrmaßnahmen. Lediglich 3 Prozent finden, Deutschland solle sich nicht auf Cyberangriffe oder einen Cyberkrieg vorbereiten.
Der angespannten Sicherheitslage entsprechend haben viele Menschen Angst, selbst Opfer von Cyberattacken zu werden: 59 Prozent sind besorgt, indirekt durch Angriffe auf kritische Infrastrukturen betroffen zu sein. 25 Prozent fürchten direkte Attacken auf ihre persönlichen Geräte. 40 Prozent machen sich vor Cyberangriffen indes keine Sorgen. Dazu Bitkom-Hauptgeschäftsführer Rohleder: „Seitdem Russland seinen Angriffskrieg in der Ukraine begonnen hat, spielt der Cyberraum nur eine nachgelagerte Rolle. Mit zunehmender Kriegsdauer könnte sich das aber ändern – mit unmittelbaren Konsequenzen für Deutschland und seine Wirtschaft.“ Auch wenn das Internet in diesen Tagen „wie ein neuer Wilder Westen“ erscheine, in dem sich Staaten, Hackergruppen und selbsternannte Cyber-Armeen tummeln, ändere der Ukrainekrieg wenig an den schon länger beobachteten Bedrohungen, so Rohleder. „Seien es Ransomware-Gruppen oder staatliche Spionage-Aktivitäten: Die Angriffsarten und Einfallstore sind bekannt. Der Faktor Mensch wird dabei weiterhin eine entscheidende Rolle spielen.“
Ein Großteil der Menschen hält die eigenen persönlichen Daten im Internet für nicht sicher. 81 Prozent glauben, ihre Daten seien im Netz eher oder sogar sehr unsicher, nur 19 Prozent halten sie für sicher. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 hatten lediglich 68 Prozent Bedenken hinsichtlich der Sicherheit ihrer Daten.
Seit Beginn des Krieges in der Ukraine haben allerdings nur 33 Prozent der Befragten zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen getroffen, um private Endgeräte zu schützen. Die Hälfte (49 Prozent) will grundsätzlich keine zusätzlichen Vorkehrungen treffen, 12 Prozent planen dies noch. Wer sich für ein Plus an privater Sicherheit entscheidet, gibt an, beim Surfen im Netz vorsichtiger zu agieren (28 Prozent), aufmerksamer gegenüber Phishing-Mails zu sein (24 Prozent) oder sich verstärkt über akute Sicherheitsrisiken zu informieren (21 Prozent). Konkrete Maßnahmen treffen nur wenige: 14 Prozent installieren Sicherheitsupdates umgehend, 12 Prozent speichern zusätzliche externe Backups ihrer Daten und nur knapp ein Zehntel (9 Prozent) hat Passwörter geändert oder verstärkt.
Bitkom-Hauptgeschäftsführer Rohleder rät zu Aufmerksamkeit und wirksamen Sicherheitsmaßnahmen: „Privatpersonen sollten beim Surfen grundsätzlich wachsamer sein und regelmäßig die eigenen Online-Aktivitäten überprüfen – sie sollten nachsehen, wann auf welchen Geräten zuletzt Log-ins stattfanden und ob von unbekannten Geräten auf die eigenen Accounts zugegriffen wurde. Außerdem sollten keine unsicheren Webseiten aufgerufen und Sicherheitswarnungen auf Internetseiten ernst genommen werden. Diese Ratschläge gelten grundsätzlich, und nicht erst seit oder wegen des Ukrainekriegs - in der jetzigen Zeit aber eben einmal mehr.“
Die Bevölkerung eint ein großes Informationsbedürfnis zum Ukraine-Krieg: So gibt es niemanden, der sich nach eigenen Angaben nicht über die aktuelle Lage informiert. Viele nutzen eine große Auswahl von Medienangeboten. 98 Prozent beziehen ihr Wissen über den Krieg aus Radio oder Fernsehen, 82 Prozent aus persönlichen Gesprächen und mehr als die Hälfte der Menschen (51 Prozent) aus Printmedien. Im Internet dominieren Online-Nachrichtenseiten (62 Prozent) als wichtigste Newsquelle, gefolgt von sozialen Netzwerken (42 Prozent). Mit Videoclips informieren sich 27 Prozent über den Krieg, 19 Prozent greifen auf Messenger-Dienste und 18 Prozent auf Podcasts zurück. Lediglich 10 Prozent informieren sich in Blogs und 5 Prozent auf Webseiten von Ministerien oder Behörden über das aktuelle Geschehen.
Die Zeit, die Menschen im Internet auf Informationssuche verbringen, ist seit Kriegsbeginn gestiegen. 63 Prozent der Social-Media-Nutzerinnen und -Nutzer in Deutschland geben an, soziale Medien häufiger zu verwenden – und zwar durchschnittlich 33 Minuten mehr am Tag. 27 Prozent nutzen soziale Medien genauso häufig wie zuvor. Lediglich 9 Prozent nutzen soziale Medien seltener; und zwar im Durchschnitt 23 Minuten weniger am Tag.
Dabei haben die Menschen auch ihre entsprechenden Aktivitäten gesteigert. 51 Prozent aller Social-Media-Nutzerinnen und -Nutzer vergeben aktuell mehr Likes, 48 Prozent teilen häufiger Inhalte. Knapp die Hälfte (44 Prozent) gibt an, mehr Content zu konsumieren, 37 Prozent hinterlassen mehr Kommentare. Zudem gibt ein Viertel der Nutzerinnen und Nutzer (25 Prozent) an, selbst mehr Beiträge zu verfassen.
Dabei unterstreichen die Befragten die wichtige Rolle sozialer Netzwerke im Ukraine-Krieg. 70 Prozent der Internet-Nutzerinnen und -Nutzer begrüßen, dass soziale Medien den Ukrainerinnen und Ukrainern mehr Sichtbarkeit für ihre Lage geben. 56 Prozent fühlen sich durch soziale Medien näher am Geschehen. Gleichzeitig belastet es mehr als die Hälfte (52 Prozent), dass sie in den sozialen Medien mit so viel Leid und Elend konfrontiert werden. Viele dürften die intensive Auseinandersetzung aber auch als Anlass nehmen, die Menschen in der Ukraine zu unterstützen: 53 Prozent geben an, dank sozialer Medien schnell und effektiv Hilfe leisten zu können – zum Beispiel mit Spenden oder der Organisation von Unterkünften.
Viele Menschen finden es schwierig, Informationen über den Krieg richtig einzuordnen: 57 Prozent bestätigen das. Bei der Informationssuche kommen viele seit Beginn des russischen Einmarsches in die Ukraine mit Fake News in Kontakt. Insgesamt sind es 56 Prozent – 15 Prozent häufig, 25 Prozent gelegentlich und 16 Prozent zumindest hin und wieder. 39 Prozent hatten nach eigenen Angaben noch nicht mit Fake News zu tun.
Viele Nutzerinnen und -nutzer zeigen sich grundsätzlich besorgt über die Verbreitung von Falschinformationen in den sozialen Medien zum Krieg (73 Prozent). 85 Prozent sind der Meinung, es sollte bereits in der Schule gelehrt werden, wie man Falschmeldungen und Fake-News identifizieren kann. Bisher geben allerdings lediglich 28 Prozent an, fragwürdige Informationen im Netz mit sogenannten „Faktencheckern“ zu überprüfen.
Dazu Bitkom-Hauptgeschäftsführer Rohleder: „Fake-News und Falschinformationen sind eine Gefahr für unsere Demokratie. Sie unterhöhlen die Glaubwürdigkeit unserer Medien und verleiten dazu, vermeintlich einfachen Antworten auf komplexe Fragen zu glauben.“ Im Umgang mit Informationen gelte deshalb, Inhalte kritisch zu hinterfragen und zu prüfen. Dies sei Aufgabe jeder Nutzerin und jedes Nutzers. Rohleder: „Wenn man sich nicht sicher ist, ob eine Nachricht korrekt ist, sollte man sie nicht unüberlegt teilen, sondern den Urheber überprüfen, Inhalte über eine Suchmaschine verifizieren und Faktenchecker-Angebote nutzen.“
Um der Verbreitung von Falschinformationen entgegenzuwirken, wollen 68 Prozent, dass russische Propaganda-Medien, die den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg unterstützen und rechtfertigen, hierzulande verboten werden – 47 Prozent stimmen dieser Forderung gänzlich zu, 21 Prozent eher. Allerdings spricht sich auch knapp ein Viertel (23 Prozent) dagegen aus. Das bereits erfolgte Sendeverbot von Russia Today und anderen russischen Medien in der EU bezeichnete Rohleder als „überfälliges gemeinsames Signal“, warnte allerdings davor, dass die gesperrten Inhalte über andere Domains den Weg zurück nach Europa finden können. Rohleder: „Die Behörden müssen jederzeit wachsam sein und neue Domains unverzüglich sperren. Darüber hinaus ist wichtig, die Medienkompetenz der Menschen in Deutschland und Europa zu stärken. Hier sollte auch die Politik ansetzen und dafür sorgen, dass die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit Quellen besser vermittelt wird.“
Grundlage der Angaben ist eine Umfrage, die Bitkom Research im Auftrag des Digitalverbands Bitkom durchgeführt hat. Im März 2022 wurden 1.002 Personen in Deutschland ab 16 Jahren telefonisch befragt. Die Umfrage ist repräsentativ.