Europa und Deutschland haben das Potenzial, sich als souveräner Standort für Finanztechnologie zu etablieren und damit die Digitalisierung des Finanz- und des Versicherungsbereichs voranzutreiben. Die Bundesregierung hat dies erkannt und will Deutschland zum führenden digitalen Finanzstandort Europas befördern. So sollen Barrieren im Binnenmarkt abgebaut werden, bestehende und neue Gründungen weniger Bürokratie ausgesetzt sein und die BaFin-Reform vorangetrieben werden.
Dass das Bundesfinanzminister Christian Lindner dabei nicht nur Innovation und Wachstum ins Zentrum rückt, sondern auch die Schaffung von Arbeitsplätzen, zeigt: Die Bedeutsamkeit der erfolgreichen digitalen Transformation des Finanzstandorts Deutschland und seine volkswirtschaftliche Komponente werden mehr und mehr verstanden. Für die erfolgreiche Weiterentwicklung des europäischen Binnenmarkts ist es unabdingbar, dass der Finanzmarkt stärker in seiner Gesamtheit betrachtet wird, d. h. auch Drittanbieter und nicht-klassische Finanzdienstleister Berücksichtigung finden. In der Umsetzung gilt es einen technologieoffenen, harmonisierten Rahmen zu schaffen, der Skalierbarkeit ermöglicht und damit eine deutsche, inner-europäische und globale Wettbewerbsfähigkeit steigert.
Ziel regulatorischer Vorhaben muss es sein, die Wettbewerbsfähigkeit, Skalierbarkeit und Chancengleichheit des gesamten europäischen Finanzmarkts zu stärken. Die Weiterentwicklung geschaffener europäischer Standards, z. B. PSD2-Umsetzung, und das Erarbeiten neuer Standards, z.B. DORA und MiCA, sollten entsprechend forciert werden. Auf nationaler Ebene gilt es – im Sinne der europäischen Harmonisierung – Überimplementierungen zu vermeiden, um grenzüberschreitende Skalierbarkeit zu ermöglichen und innereuropäische Wettbewerbsnachteile abzubauen. Zum Beispiel sehen wir bei der Frage nach KYC-konformen Onboarding neuer Kunden eine spürbare Benachteiligung des deutschen Innovationsstandorts. Hier bedarf es daher neuer, europaweiter Lösungen.
Die Digitalisierung des Finanzstandorts hat zu einer Stärkung des Wettbewerbs und Heterogenisierung der Marktteilnehmer geführt. Verbindliche Standards für Finanzdienstleister, kritische Drittanbieter und Technologieunternehmen entlang der digitalen Wertschöpfungskette sollten daher Einzug in die regulatorische und aufsichtsrechtliche Praxis halten.
Wir unterstützen die geplante Modernisierung der Finanzaufsicht, die vor allem eine stärkere Digitalisierung zur Folge haben muss. Das beinhaltet den Abbau der Papierform sowie den Einsatz digitaler Technologien bei der Aufsicht. Nur so gelingt der Bürokratieabbau mit dem im Koalitionsvertrag versprochenen schnellerem Tempo für Finanzdienstleister.
Die PSD2 hat einen EU-weiten Rahmen für die verbrauchergesteuerte Datennutzung und den Datenzugang geschaffen. Das ist essenziell, um deutsche Unternehmungen konkurrenzfähig mit globalen Playern zu machen und Lock-in-Effekte zu reduzieren. Konsumenten profitieren von einer Angebotsvielfalt digitaler Geschäftsmodelle und können so souveräne, individuelle Entscheidungen treffen. Die Entscheidungsfreiheit, welche Daten mit welchen Unternehmen geteilt werden, sollte gestärkt werden. Dazu braucht es eine einheitliche Auslegung und Anwendung der DSGVO sowie verbraucherseitig verbesserte Datenportabilität und Dateninteroperabilität.
Die auf EU-Ebene angekündigte Weiterentwicklung von Open Banking hin zu Open Finance begrüßt der Bitkom ausdrücklich. Wir sehen darin die Chance, neu entstehende Geschäftsmodelle (Sitchwort: Embedded Finance) zu festigen. Diese Entwicklung gilt es seitens der deutschen Bundesregierung zu unterstützen.
Die Grundlage für das Funktionieren vertrauensvoller, digitaler Geschäftsmodelle ist die eindeutige Identifizierung von Kunden. Was Vorgaben und Mechanismen des Identifikationsprozesses anbelangt, unterhält Europa einen stark fragmentierten Markt. Aus unternehmerischer Sicht sind deutsche Vorgaben überkomplex und bilden einen Wettbewerbsnachteil. Daher muss das Etablieren von nutzerfreundlichen, europaweit standardisierten eID- und KYC-Prozessen forciert werden. Der im Juni 2021 vorgestellte Verordnungsentwurf zur EUiD ist ein richtiger Schritt. Ziel der deutschen Bundesregierung muss es sein, nationale Vorhaben klarer zu strukturieren, zu bündeln und mit europäischen Entwicklungen in Einklang zu bringen. Die Interoperabilität mehrerer zertifizierter Wallets sollte dabei gewehrleistet werden.
Die Steuerung der digitalen Transformation innerhalb der Finanzbranche braucht eine stärkere Auseinandersetzung mit zukunftsrelevanten Themen der Finanzindustrie, um nicht den Anschluss zu anderen Regionen zu verlieren. Dass der Koalitionsvertrag kein stimmiges Konzept für blockchainbasierte Finanzinnovation vorlegt, zeigt dass es in Deutschland noch einen positiveren Zugang im Umgang mit Innovation braucht.
Der Bitkom empfiehlt Pilotprogramme zur technischen Ausgestaltung eines Digitalen Euro seitens der EZB zu fördert und neben dem Retail-Fokus auch Industrieanwendungen, wie M2M-Payments, ins Zentrum zu rücken. Für das ernsthafte Führen von Innovationsdebatten im Zahlungsverkehr gilt es außerdem die Wahlfreiheit zwischen baren und digitalen Bezahloptionen politisch durchzusetzen: Die Akzeptanz mindestens einer europaweit nutzbaren, digitalen Bezahloption an jedem Point-of-Sale muss zum flächendeckenden Standard in Deutschland werden.