Berlin, 13. Oktober 2022 - Deutschlands Krankenhäuser und Arztpraxen werden digitaler. Zugleich messen Ärztinnen und Ärzte der Digitalisierung eine steigende Bedeutung für das Gesundheitswesen bei und mahnen einen schnelleren Ausbau digitaler Medizin an. So sagen 78 Prozent aller Ärztinnen und Ärzte, Deutschland hänge im Vergleich zu anderen Ländern bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems zurück. Das sind deutlich mehr als vor zwei Jahren, als es noch 60 Prozent waren. Zwei Drittel (67 Prozent) fordern mehr Tempo bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens, ebenfalls eine deutliche Steigerung gegenüber 2020 (57 Prozent). Mehr als drei Viertel der Arztinnen und Ärzte in Deutschland (76 Prozent) sehen die Digitalisierung grundsätzlich als Chance für die Medizin – 2020 waren es noch 67 Prozent. Das sind die Ergebnisse einer Umfrage, die der Digitalverband Bitkom gemeinsam mit dem Ärzteverband Hartmannbund unter mehr als 500 Medizinerinnen und Medizinern in Deutschland durchgeführt hat. Demnach sind zwei Drittel (64 Prozent) der Befragten der Ansicht, digitale Technologien würden die medizinische Versorgung der Menschen grundsätzlich verbessern. Die Hälfte (50 Prozent) verbindet damit auch eine Senkung der Kosten für das Gesundheitssystem. „Die Ärztinnen und Ärzte in Deutschland haben sich insbesondere in den vergangenen zwei Jahren stark für die Digitalisierung der Medizin geöffnet. Inzwischen erkennt die weit überwiegende Mehrheit, welche Vorteile die Digitalisierung für die medizinische Versorgung hat“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. „Die Corona-Pandemie hat eindrücklich gezeigt, dass Zettelwirtschaft und analoge Verfahren ein Verfallsdatum haben. Zugleich sind durch die Politik zuletzt zahlreiche Weichenstellungen für die Digitalisierung des Gesundheitssektors getroffen worden.“
So werden in Krankenhäusern und Arztpraxen bereits vielfach digitale Anwendungen genutzt oder angeboten, nicht nur in der Verwaltung, sondern ebenso bei Diagnose und Behandlung sowie bei Konsilen mit anderen Medizinerinnen und Medizinern. Unter den Klinik-Ärztinnen und -Ärzten geben bereits 71 Prozent an, dass ihr Krankenhaus WLAN für Patientinnen und Patienten bereitstellt. Bei weiteren 20 Prozent ist dies zwar nicht der Fall, die Befragten halten es aber für sinnvoll. Bei gut einem Fünftel (20 Prozent) werden digitale Aufklärungsbögen vor Untersuchungen oder Eingriffen angeboten und 18 Prozent haben in ihrer Klinik eine Tablet-gestützte Patientenaufnahme im Einsatz. Jeweils gut zwei Drittel nutzen in ihrem Haus bislang zwar keine Tablets zur Patientenaufnahme bzw. digitale Aufklärungsbögen, halten dies aber für sinnvoll. „Intelligente digitale Prozesse verringern den Verwaltungsaufwand erheblich, so dass die Beschäftigten an Kliniken viel mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben gewinnen“, betont Rohleder.
Bei Diagnose und Behandlung ist High-Tech in den Kliniken noch nicht in der Breite im Einsatz, wird aber von vielen gewünscht. So werden bei einem Fünftel der Krankenhausärztinnen und -ärzte (19 Prozent) Roboter zur Unterstützung bei Operationen und Eingriffen genutzt. 25 Prozent derjenigen, bei denen dies nicht der Fall ist, halten Robotik im OP jedoch für sinnvoll. Künstliche Intelligenz etwa zur Auswertung von Röntgen- oder MRT-Bildern ist bei knapp einem Zehntel (9 Prozent) in der Klinik im Einsatz, weitere 54 Prozent nutzen KI in ihrem Haus nicht, würden dies aber befürworten. Virtual Reality für Trainingszwecke oder Operationen wird bei 8 Prozent genutzt, zwei Drittel (65 Prozent) fänden die Technologie für ihr Krankenhaus sinnvoll. „Spitzentechnologien wie Robotik, Virtual Reality und Künstliche Intelligenz werden künftig mehr Menschen denn je helfen, gesund zu werden und zu bleiben. Sie helfen Ärztinnen und Ärzten dabei, zielgenau zu diagnostizieren und individuell zu therapieren“, betont Rohleder.
Auch telemedizinische Anwendungen finden in der Klinik zunehmend Verbreitung: Bei 32 Prozent werden Telekonsile mit anderen Ärztinnen und Ärzten durchgeführt, bei 14 Prozent werden Videosprechstunden angeboten, bei einem Zehntel (10 Prozent) werden bestimmte Untersuchungen oder OPs von Fachleuten per Video aus der Ferne unterstützt. „Insbesondere kleinere Kliniken in ländlichen Regionen können so von externem Fachwissen profitieren“, sagt Rohleder.
In Praxen ist die Nutzung digitaler Angebote noch etwas zurückhaltender. WLAN für die Patientinnen und Patienten wird bei 21 Prozent der niedergelassenen und angestellten Ärztinnen und Ärzte in einer Praxis oder einem medizinischen Versorgungszentrum angeboten. Weitere 11 Prozent, bei denen es noch kein WLAN für die Patientinnen und Patienten gibt, halten dies für sinnvoll. Bei knapp einem Fünftel (18 Prozent) werden Video-Sprechstunden angeboten, weitere 30 Prozent erachten dieses Angebot für sinnvoll. Deutlich mehr als die Hälfte (57 Prozent) nutzt in ihrer Praxis noch keine Telekonsile mit Fachkolleginnen und -kollegen, wünschen sich dies aber. Erst bei jedem und jeder Zehnten (11 Prozent) werden in der Praxis Konsile mit Hilfe von Telemedizin realisiert.
Dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen noch nicht weiter fortgeschritten ist, liegt nach Ansicht der weit überwiegenden Mehrheit aller befragten Ärztinnen und Ärzte an der Komplexität des Gesundheitssystems (91 Prozent). 80 Prozent machen oftmals langfristige Zertifizierungs- und Genehmigungsverfahren als Hindernis aus und 76 Prozent eine zu starke Regulierung des Gesundheitssektors. Die Digitalkompetenz der Patientinnen und Patienten wird von mehr als der Hälfte als mangelhaft beschrieben (58 Prozent) und die der Ärzteschaft von einem etwas geringeren Anteil (46 Prozent). Eines der größten Hindernisse für die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens sind aus Sicht der Medizinerinnen und Mediziner auch eine zu strenge Auslegung des Datenschutzes (69 Prozent) sowie der hohe Aufwand für IT-Sicherheit (75 Prozent).
Das Thema IT-Sicherheit bereitet den Ärztinnen und Ärzten sowohl in Kliniken als auch in den Praxen Sorgen. Drei Viertel (74 Prozent) der Ärzteschaft im Krankenhaus sehen Kliniken in Deutschland häufig nicht ausreichend vor Cyberangriffen geschützt. 69 Prozent meinen, Ärztinnen und Ärzte sollten sich stärker mit IT-Sicherheit beschäftigen – und zwei Drittel (66 Prozent) sorgen sich konkret vor Cyberangriffen auf Krankenhäuser. Immerhin 42 Prozent werden an ihrer Klinik regelmäßig zum Thema IT-Sicherheit geschult, eine Mehrheit von zwei Dritteln (68 Prozent) wünscht sich aber mehr Informationen zum Umgang mit dem Thema. Unter den niedergelassenen und angestellten Ärztinnen und Ärzten in Praxen und Versorgungszentren ist die Sorge vor Cyberangriffen auf Praxen und medizinische Einrichtungen mit 83 Prozent sogar noch größer. 82 Prozent sagen zudem, Praxen seien häufig nicht ausreichend vor Cyberangriffen geschützt. Zwei Drittel (68 Prozent) aus dieser Gruppe wünschen sich, dass sich Ärztinnen und Ärzte generell stärker mit IT-Sicherheit beschäftigen. Drei Viertel (75 Prozent) wissen aber auch grundsätzlich über die IT-Sicherheit in ihrer Praxis Bescheid. „IT-Sicherheitsstandards sind gesetzlich sowohl für Krankenhäuser als auch für Arztpraxen jeglicher Größe geregelt“, betont Rohleder. „Die Umsetzung dieser Vorgaben wird offenkundig sehr ernst genommen.“ Dabei gehe es nicht nur darum, Geräte- und Betriebsausfälle zu vermeiden, sondern auch um den Schutz sensibler Patientendaten. „Insgesamt sind die Gesundheitsdaten der in Deutschland gesetzlich Versicherten im internationalen Vergleich herausragend gut geschützt.“
Auf welchem Weg wird innerhalb des Gesundheitssystems kommuniziert? Auch diese Frage wurde den Ärztinnen und Ärzten gestellt. Das Ergebnis: Die Kommunikation verläuft insgesamt noch überwiegend analog. Vor allem das Telefon ist das Mittel der Wahl– sei es für den Austausch mit Praxen (83 Prozent), mit Kliniken (80 Prozent) oder mit Patientinnen und Patienten (86 Prozent). Überwiegend E-Mails zur Kommunikation mit anderen Praxen nutzt immerhin fast jeder und jede Dritte (30 Prozent). In der Kommunikation mit Kliniken ist es ein Viertel (24 Prozent) und mit Patientinnen und Patienten 39 Prozent. Das Fax wird dagegen deutlich häufiger genutzt: 63 Prozent der Medizinerinnen und Mediziner in Deutschland kommunizieren per Fax mit Praxen, 57 Prozent nutzen das Fax im Austausch mit Kliniken und 16 Prozent zur Kommunikation mit Patientinnen und Patienten.
Auch Medikamente werden weit überwiegend per Papierrezept verordnet. Gerade einmal 1 von 100 Ärztinnen und Ärzten stellt regelmäßig auch elektronische Rezepte aus, weitere 4 Prozent tun dies vereinzelt. 57 Prozent tun dies nicht, können es sich aber künftig vorstellen. Knapp ein Fünftel (18 Prozent) schließt dies kategorisch aus. „Das E-Rezept gilt für alle Verordnungen und wird künftig ausschließlich digital erstellt. Damit entfällt die Zettelwirtschaft in Praxen und Apotheken, die Versicherten können per Smartphone-App ihre Rezepte einlösen“, erklärt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Rohleder. „Der Roll-out des E-Rezepts sollte jetzt zügig erfolgen.“
Relativ große Zurückhaltung gibt es noch bei der elektronischen Patientenakte (ePA). Erst 6 Prozent der Ärztinnen und Ärzte haben bereits die ePA von Versicherten genutzt. Lediglich 14 Prozent weisen ihre Patientinnen und Patienten aktiv auf die ePA hin. 29 Prozent der Ärzteschaft nutzen die ePA nicht, weil sie nicht die nötige technische Ausstattung dafür haben, weitere 13 Prozent würden sie zwar gern nutzen, verweisen aber darauf, dass die Patientinnen und Patienten dies nicht möchten. 18 Prozent schließen die Nutzung grundsätzlich aus und 20 Prozent wollen sie aus „sonstigen Gründen“ nicht nutzen. Der Anteil der Unentschlossenen ist mit 15 Prozent vergleichsweise hoch. „Die elektronische Patientenakte ist das Kernstück der Digitalisierung des Gesundheitswesens und ihre Einführung sollte beschleunigt werden. Doch die Hürden zur Beantragung und Nutzung sind hoch. Das von der Ampel-Koalition angekündigte Opt-out muss daher schnellstmöglich umgesetzt werden“, sagt Rohleder. Mit dieser geplanten Änderung erhalten alle Versicherten automatisch eine elektronische Patientenakte, können dem aber widersprechen.
Für viele Ärztinnen und Ärzte sind der Datenschutz bzw. eine aus ihrer Sicht übertriebene Auslegung von Datenschutzvorschriften ein Hemmschuh. So betonen 71 Prozent, strenge Datenschutzvorgaben erschwerten oftmals den medizinischen Fortschritt. Im Jahr 2020 lag dieser Wert noch bei 60 Prozent. Mehr als die Hälfte (54 Prozent) fordert, der Datenschutz solle weniger streng ausgelegt werden, um den Gesundheitsschutz zu verbessern – 22 Prozentpunkte mehr als 2020, als erst 32 Prozent diese Meinung vertraten. „Wenn wir es in Deutschland nicht schaffen, den Datenschutz in ein ausgewogenes Verhältnis zum Gesundheitsschutz zu bringen, werden die deutschen Patienten medizinische Leistungen künftig aus Ländern beziehen, denen diese Balance besser gelingt. Datenschutz muss zuallererst dem Wohl der Patientinnen und Patienten dienen“, so Rohleder. Daten seien die Grundlage einer hoch leistungsfähigen, auf die individuelle Situation jedes und jeder Einzelnen abgestimmten medizinischen Versorgung.
So fordern drei Viertel die Ärztinnen und Ärzte in Deutschland (74 Prozent) eine verbesserte Erschließung versorgungsnaher Daten für mehr Evidenz und innovative Therapien. 71 Prozent sind generell der Ansicht, Gesundheitsdaten sollten stärker erschlossen und nutzbar gemacht werden – und 61 Prozent sehen darin sogar eine ethische Verpflichtung. „Mit dem European Health Data Space wird auf europäischer Ebene eine einheitliche Infrastruktur und rechtliche Basis für den Einsatz von Gesundheitsdaten erarbeitet, die zügig beschlossen werden muss. Auch das im Koalitionsvertrag geplante deutsche Gesundheitsdatennutzungsgesetz muss schnell kommen“, betont Rohleder. „Die Nutzung von Gesundheitsdaten ermöglicht eine verbesserte und schnellere Entwicklung von Therapien, Medikamenten und Untersuchungsmethoden, was Millionen Menschen unmittelbar helfen wird – nicht zuletzt bei der Bekämpfung seltener Krankheiten oder der Bewältigung globaler Pandemien.“
Die Presseinformation des Hartmannbundes mit einer Einordnung der Ergebnisse aus ärztlicher Sicht finden Sie hier:
Grundlage der Angaben ist eine Umfrage, die Bitkom Research im Auftrag des Digitalverband Bitkom mit Unterstützung des Hartmannbundes durchgeführt hat. Dabei wurden 535 Ärztinnen und Ärzte aller Fachrichtungen in Kliniken und Praxen in Deutschland befragt.