Berlin, 16. Juli 2024 - Die Bundesregierung hat die Digitalisierung des Gesundheitswesens zuletzt massiv beschleunigt: Das E-Rezept ist eingeführt, Video-Sprechstunden sind als Teil der medizinischen Standardversorgung etabliert, Anfang 2025 bekommen die Versicherten automatisch eine elektronische Patientenakte, sofern sie nicht widersprechen. Die weit überwiegende Mehrheit der Menschen in Deutschland begrüßt diese Entwicklung: 89 Prozent halten die Digitalisierung im Gesundheitswesen grundsätzlich für richtig – und 71 Prozent wünschen sich dabei sogar mehr Tempo. 83 Prozent erleben überdies, dass ihre Ärztinnen und Ärzte dem Thema Digitalisierung insgesamt aufgeschlossen gegenüberstehen. Gleichwohl gibt es auch Sorgen: Fast jeder und jede Zweite (48 Prozent) fühlt sich von der Digitalisierung im Gesundheitswesen auch überfordert. Das sind Ergebnisse einer repräsentativen Befragung unter 1.140 Personen in Deutschland im Auftrag des Digitalverbands Bitkom. Demnach betrifft das Gefühl der Überforderung die Älteren etwas stärker als die Jüngeren: 53 Prozent der über 50-Jährigen haben mit Blick auf die Digitalisierung des Gesundheitswesens ein solches Gefühl und 42 Prozent der Menschen zwischen 16 und 49 Jahren. „Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat die Digitalisierung des Gesundheitssystems drastisch beschleunigt und das Ressort auf Digitalkurs gebracht“, sagt Bitkom-Vizepräsidentin Christina Raab. „Die Menschen in Deutschland finden diese Entwicklung richtig, stoßen im alltäglichen Umgang mit digitalen Technologien und Anwendungen im Gesundheitsbereich aber noch auf Hürden. Ob elektronische Patientenakte, E-Rezept oder KI in der Medizin: Wir müssen die Kompetenzen zum Umgang mit digitalen Gesundheitstechnologien und -Anwendungen stärken.“
Ein Großteil der in den letzten Jahren eingeführten digitalen Innovationen ist den Menschen bereits bekannt: 98 Prozent haben schon vom E-Rezept gehört, dessen flächendeckende Einführung seit Sommer 2023 läuft. 95 Prozent können mit der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) etwas anfangen und 93 Prozent haben bereits von der elektronischen Patientenakte gehört, die nach Plänen der Bundesregierung ab Anfang 2025 alle Versicherten automatisch erhalten, sofern sie nicht aktiv widersprechen. 90 Prozent haben von der Video-Sprechstunde gehört und 71 Prozent von Gesundheits-Apps auf Rezept, sogenannten DiGAs. Rund die Hälfte (51 Prozent) weiß, dass es einen elektronischen Medikationsplan gibt. Die Ergebnisse der Studie im Überblick:
Wenn es um die persönliche Unterstützung der eigenen Gesundheit und des Wohlbefindens mithilfe digitaler Tools geht, sind viele Nutzerinnen und Nutzer eines Smartphones bereits sehr versiert. 69 Prozent nutzen aktuell mindestens eine Gesundheits-App. Besonders beliebt sind dabei Anwendungen aus dem Bereich Sport und Bewegung: 45 Prozent tracken ihre Schritte mit einer Schrittzähler-App, 39 Prozent nutzen Sport-Apps, die etwa Laufen, Radfahren oder Schwimmen aufzeichnen. 37 Prozent nutzen Sport-Apps mit Fitnessübungen und 17 Prozent Apps mit speziellen, beispielsweise physiotherapeutischen Übungen. Auch die allgemeine Gesundheit und das seelische Wohlbefinden wollen viele Menschen mithilfe ihres Smartphones stärken: Ein Viertel der Smartphone-Nutzerinnen und -Nutzer (24 Prozent) verwendet Apps zum Thema psychische Gesundheit, etwa Achtsamkeits- oder Anti-Stress-Apps. 23 Prozent tracken Gewicht und Ernährung per App und 17 Prozent messen Körper- und Vitaldaten, beispielsweise die Herzfrequenz oder das Schlafverhalten. „Viele Menschen ziehen einen großen Nutzen aus Apps, mit denen sie ihr Bewegungspensum oder ihre Ernährungsgewohnheiten verfolgen und steuern können“, so Bitkom-Vizepräsidentin Raab. „In Verbindung mit Sportuhren, Smartwatches oder Fitnessarmbändern können oft viele weitere wertvolle Daten gewonnen werden, um die eigene Gesundheit zu verbessern.“
Herzstück des digitalen Gesundheitssystems soll die elektronische Patientenakte werden, kurz ePA. In ihr werden unter anderem medizinische Daten, Befunde und Untersuchungsergebnisse gespeichert, so dass diese für den bzw. die jeweils betroffene Patientin bzw. Patienten jederzeit einsehbar sind und auf Wunsch auch mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten geteilt werden können. Zwar gibt es die ePA bereits seit Januar 2021, der Durchbruch bei der tatsächlichen Nutzung wird allerdings erst für 2025 erwartet. Ab dann gilt das politisch bereits beschlossene sogenannte „Opt-out“. Heißt: Alle Versicherten erhalten automatisch eine elektronische Patientenakte – es sei denn, sie widersprechen aktiv. Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) nutzt aktuell rund 1 Prozent der Versicherten eine elektronische Patientenakte. 71 Prozent wollen dies laut Bitkom-Studie künftig tun. Jeder bzw. jede vierte (26 Prozent) schließt die Nutzung eher (18 Prozent) bzw. in jedem Fall (8 Prozent) aus. Vor einem Jahr belief sich der Wert der Personen, die die ePA ablehnen, noch auf 37 Prozent. Der Zuspruch für die ePA ist innerhalb eines Jahres deutlich gestiegen. Ein Großteil der Menschen, die die elektronische Patientenakte nutzen oder dies tun wollen, wollen sie dann auch in einer App auf ihrem Smartphone verwalten und einsehen. Dies trifft auf 69 Prozent aus dieser Gruppe zu. Raab: „Mit der elektronischen Patientenakte erhalten die Versicherten einen schnellen Zugriff auf ihre medizinischen Daten, ihre Diagnosen und auch Dokumente wie Impf- oder Mutterpass. Sie werden dadurch als Patientinnen und Patienten souveräner und mündiger.“
Wer die ePA schon nutzt oder künftig nutzen will, gibt als Grund mehrheitlich an, dass sich die eigenen Gesundheitsdaten, Befunde, Diagnosen und weiteres auf diese Weise unmittelbar mit allen behandelnden Ärztinnen und Ärzten teilen lassen (89 Prozent). 77 Prozent versprechen sich mehr Sicherheit, etwa durch hinterlegte Arzneimittel-Verschreibungen, um Wechselwirkungen zu vermeiden. Drei Viertel (74 Prozent) sehen darin die Möglichkeit, selbst jederzeit auf ihre Gesundheitsdaten und ihre Krankengeschichte zuzugreifen und 53 Prozent sich mithilfe der ePA aktiver um ihre Gesundheit kümmern. 46 Prozent wollen eigene Daten beispielsweise aus einer Sportuhr oder Smartwatch in die ePA hochladen. Wer die elektronische Patientenakte ablehnt, tut dies vor allem aus Sorge um die eigenen Gesundheitsdaten und fürchtet, diese könnten in falsche Hände geraten (59 Prozent). Die Hälfte (50 Prozent) fühlt sich über die ePA nicht ausreichend informiert und 41 Prozent erscheint sie insgesamt zu kompliziert. Ein Drittel (31 Prozent) der Ablehnenden sieht in der elektronischen Patientenakte keinen Mehrwert.
Ob man die elektronische Patientenakte selbst nutzen will oder ablehnt: 59 Prozent aller Befragten begrüßen die Widerspruchslösung und sind froh, dass die ePA nun automatisch eingerichtet wird. 61 Prozent aller Befragten möchten aber besser über die ePA informiert werden. Und 58 Prozent sorgen sich um die Datensicherheit bei der ePA. „Jetzt kommt es darauf an, den Patienten und Patientinnen die Vorteile der ePA verständlich zu erklären, um Vorbehalte und Sorgen abzubauen. Hier müssen alle Beteiligten mitwirken und für Informiertheit und Transparenz sorgen“, betont Raab.
Das E-Rezept - ebenfalls ein wichtiger Baustein des digitalen Gesundheitssystems - wurde nach einigen Verzögerungen im Sommer 2023 eingeführt und ist seit 2024 verpflichtend. Gesetzlich Versicherte erhalten verschreibungspflichtige Arzneimittel nur noch per E-Rezept und können dieses mit ihrer elektronischen Gesundheitskarte, per App oder mittels Ausdruck einlösen. Die digitalen Verfahren werden dabei klar bevorzugt: 54 Prozent stecken am liebsten ihre Gesundheitskarte in der Apotheke ein, 20 Prozent bevorzugen die E-Rezept-App auf ihrem Smartphone oder Tablet und 8 Prozent wollen das E-Rezept am liebsten gleich in einer Online-Apotheke einlösen. Nur noch 14 Prozent bevorzugen den Ausdruck auf Papier, vor einem Jahr waren es noch 24 Prozent.
77 Prozent der Deutschen geben an, bereits ein oder mehrere E-Rezepte eingelöst zu haben. Bei 83 Prozent verlief das Procedere reibungslos, 23 Prozent berichten von Problemen – einige haben also beim Einlösen von E-Rezepten mal gute, mal schlechte Erfahrungen gemacht. „Die Umstellung auf das E-Rezept betrifft nicht nur Patientinnen und Patienten sowie die Apotheken, sondern auch die Ärztinnen und Ärzte. Die Einführung neuer Prozesse – dazu zählt auch die unmittelbare Signatur und Freigabe der digitalen Rezepte in den Praxen – ist mittlerweile aber auf einem sehr guten Weg“, betont Bitkom-Vizepräsidentin Raab.
Die Video-Sprechstunde ist in Deutschland mittlerweile fester Bestandteil des Versorgungsalltags. 27 Prozent der Menschen in Deutschland haben bereits einmal oder mehrfach per Video-Sprechstunde mit einer Ärztin bzw. einem Arzt oder einer Therapeutin bzw. einem Therapeuten kommuniziert. 2023 waren es 22 und 2022 waren es nur 15 Prozent. Im Vor-Corona-Jahr 2019 belief sich dieser Wert auf gerade einmal 5 Prozent. Erst seit 2017 werden die Kosten hierfür von der Krankenkasse übernommen. Insbesondere während der Pandemie wurden bürokratische Hürden für Medizinerinnen und Mediziner, die Video-Sprechstunden anbieten, abgebaut. „In Zeiten abnehmender Praxisdichte und einer alternden Bevölkerung werden Video-Sprechstunden unverzichtbar, um weniger mobile Menschen oder solche in ländlichen Regionen weiter optimal zu versorgen“, sagt Bitkom-Vizepräsidentin Christina Raab. 84 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer berichten, bei ihnen seien die Video-Sprechstunden reibungslos verlaufen. 81 Prozent loben, der Arzt oder die Ärztin habe sich ausreichend Zeit für sie genommen.
Die weit überwiegende Mehrheit der Menschen in Deutschland (84 Prozent) sieht die Digitalisierung des Gesundheitswesens mittlerweile vor allem als Chance – vor einem Jahr waren es noch 74 Prozent und erst 60 Prozent im Jahr 2022. 14 Prozent sehen in der Digitalisierung demgegenüber ein Risiko (2023: 25 Prozent, 2022: 35 Prozent). „Die Digitalisierung des Gesundheitssystems hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht, und dies wird von den Menschen erkannt und geschätzt“, betont Raab. Wichtig sei daher auch die gezielte Förderung der digitalen Kompetenzen der Patientinnen und Patienten. Mit Blick auf weitere wichtige Digitalgesetze im Gesundheitsbereich appelliert Bitkom an die Politik, den nun eingeschlagenen Weg konsequent fortzuführen. „Das deutsche Gesundheitswesen ist sehr komplex. Es ist daher wichtig, dass die Koordinierung der einzelnen digitalen Maßnahmen und die Stärkung der Interoperabilität zentral durch die geplante Digitalagentur für Gesundheit gesteuert werden“, betont Raab. „Die Weiterentwicklung der Gematik ist im Kern richtig. Kritisch bewertet Bitkom allerdings die im aktuellen Gesetzentwurf festgehaltene Absicht, dass die Gematik selbst bestimmte Anwendungen entwickelt oder ausschreiben soll. Digitale Lösungen müssen im Wettbewerb entstehen und entwickelt werden, der Wettbewerb ist der beste Treiber von Innovationen zum Wohle der Patientinnen und Patienten.“
Die geplante Apothekenreform, die ebenfalls am Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedet werden soll, sieht Bitkom als große Chance zur Stärkung der Digitalisierung im Gesundheitssystem. Im Entwurf führt das BMG erstmalig den rechtlichen Begriff der Tele-Pharmazie ein. Insbesondere in Zeiten einer sinkenden Apothekendichte und in ländlichen Regionen könnte somit eine Versorgungslücke geschlossen werden. Auch im geplanten „Gesundes-Herz-Gesetz“ sollte die Tele-Pharmazie aus Bitkom-Sicht ausdrücklich berücksichtigt werden. Die geplante Ausweitung von pharmazeutischen Dienstleistungen zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, insbesondere solche, die reine Beratungsservices beinhalten, erfordern nicht zwangsläufig die physische Anwesenheit der Patientinnen und Patienten. Raab: „Die jahrelange Stagnation im Gesundheitswesen ist überwunden. Wenn Deutschland die Potenziale der Digitalisierung noch besser nutzt, kann unser Gesundheitssystem trotz aller Herausforderungen leistungsfähig und bezahlbar bleiben.“
Grundlage der Angaben ist eine Umfrage, die Bitkom Research im Auftrag des Digitalverband Bitkom durchgeführt hat. Dabei wurden 1.140 Personen in Deutschland ab 16 Jahren telefonisch befragt. Die Befragung fand im Zeitraum von KW 20 bis KW 23 2024 statt. Die Umfrage ist repräsentativ.