Wintergerst: Liebe Frau Professor Sinemus, ich freue mich sehr, dass wir so kurz vor der Bundestagswahl noch ein Gespräch führen – und zwar ein wichtiges Gespräch, denn Sie als Ministerin für Digitalisierung und Innovation in Hessen sind ein Rollenmodell für ein Digitalministerium geworden. Dazu auch direkt meine erste Frage, mit der ich mit der Tür ins Haus falle: Es sieht so aus, als könnte es in der Zukunft ein eigenständiges Digitalministerium geben. Wie sehen Sie die Chancen? Wie beurteilen Sie das?
Sinemus: Ich habe von unserem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz gehört, dass wir, wenn wir an die Regierung kommen, ein Bundesdigitalministerium einrichten. Insofern sehe ich die Chance als sehr gut an, und ich halte es auch für notwendig. Wir müssen das Thema Digitalisierung in einer anderen Geschwindigkeit und Dynamik nach vorne entwickeln. Das geht nur, wenn wir eine Verantwortungsrolle haben, die sich für negative wie positive Entscheidungen über alle Ressourcen hinweg auf den Weg begibt und nicht nur die inhaltliche, sondern auch die finanzielle Guidance vorgibt. Wir haben damit in Hessen sehr gute Erfahrungen gemacht, dass wir Budget, Inhalt und Steuerung der Digitalstrategie ressortübergreifend an einer Stelle – dem Digitalministerium – gebündelt und koordiniert haben.
Wintergerst: Ich finde das super, weil wir wirklich Schritte machen müssen. In der letzten Phase von Frau Merkel gab es eine Koordinationsstelle im Kanzleramt. Das hat nicht wirklich funktioniert. Das Modell, das wir jetzt im Kabinett Scholz haben, das hat zwar kleinere Erfolge erzielt, aber nicht den Durchbruch. Ein reines Digitalministerium könnte Durchschlag haben. Das ist auch meine feste Meinung, so wie Sie es gerade gesagt haben.
Jetzt nehme ich mal die deutsche kritische Haltung ein und sage: „Das dauert alles viel zu lange, das ist wahnsinnig kompliziert.“ Das sagen die Kritiker ja. Sie haben nun selbst Erfahrung gemacht. Was braucht es wirklich, um ein solches Ministerium aufzusetzen und hat das eine Chance?
Sinemus: Es braucht einen Plan und Unterstützer in der Regierung – für ein eigenständiges Ministerium mit einer klaren Strategie und Budgetverantwortlichkeiten, als Bündelnde der zentralen Digitalthemen. Das haben wir in Hessen in einem ersten Schritt erreicht, dass wir das eingefordert haben, und zwar von dem Finanzminister, und ihm auch erklärt haben, warum das deutlich effektiver ist. Denn, und das wissen Sie selbst aus Ihrem Unternehmer-Dasein: Wenn ich an einer Stelle ein Controlling habe, das mir zeigt, ob ich mit meinem Projekt auch inhaltlich so schnell weiterkomme, wie ich möchte, oder ob ich vielleicht langsamer bin, dann habe ich möglicherweise Erklärungen dafür, warum mehr oder weniger Geld oder zu anderer Zeit gebraucht wird. Das hilft einem Gesamtsystem, effektiver zu sein. Deswegen ist es unabdingbar, dass ressortübergreifend genau das passiert – und das haben wir gemacht. Das ist der erste Punkt, den Hessen im Aufbau eines Digitalministeriums umgesetzt hat.
Das zweite ist, und auch das ist eine Schlüsselaufgabe: Das Digitalministerium sollte zumindest für einen Themenbereich operativ tätig sein. Operativ tätig sind wir, indem wir die Aktivitäten von Mobilfunk, Breitband und Telekommunikationsgesetzgebung bei uns zusammengezogen haben. Das halte ich für notwendig. Sie sind ja aus Bayern, da muss ich drei Kollegen anrufen, um mit diesem Themenfeld weiterzukommen. Da hat man Reibungsverluste und das ist nicht gut. Wir müssen an einer Stelle das, was Basis ist, und das ist nun mal digitale Infrastruktur, entscheiden und umsetzen können. Und zur digitalen Infrastruktur, für die das Digitalministerium auch zuständig ist, gehören nicht nur Mobilfunk oder Breitband, sondern auch Rechenzentren. Das ist wesentlich für unsere Zukunft. Das ist der zweite Bereich.
Der dritte ist die Verwaltungsdigitalisierung, und zwar als gesamtdigitaler Prozess. Den von hinten gedacht, von vorne gemacht, mit einer anderen Hebelwirkung umzusetzen, geht nur, wenn ich das an einer Stelle zusammenfasse. Und das vierte, da steht ja mein Ministerium für, ist das Thema Innovation. Wir werden eine digitale Transformation nicht schaffen, wenn wir uns nicht mit Innovationen, Schrägstrich Disruption, weiter entwickeln können. Da gehören Startups zu. Wir haben einen Startup-Beauftragten, wir haben ein Förderprogramm, wo wir Startups unterstützen. Wir haben die Initiative KMUs, wo wir mit den KMUs darüber reden, wie wir sie unterstützen können, um ihre digitalen Prozesse auf den Weg zu bringen. Und wir reden über KI. Wie können wir KI als Zukunftsagenda für unser Land weiterentwickeln? Diese innovativen und neuen Investitionen und Themen gehören als vierter Punkt genauso in einen Digitalbereich – und so haben wir es in Hessen aufgebaut, das seit 2019. Sie hatten diese Einschränkung genannt, dass es zu langsam geht. Naja, es ist immer relativ. Wir haben es zumindest geschafft, innerhalb von einem dreiviertel bis zu einem Jahr handlungsfähig zu sein und das Ressort so weit aufzubauen, dass wir in diesen vier Themenfeldern wirken können.
Wenn ich mir einen Plan mache, und wir hatten einen solchen Plan, dann kann ich das konsequent umsetzen, nämlich zum Verkehrsministerium gehen und sagen: „Ich möchte Mobilfunk und Breitband gern bei euch als Ressortzuständigkeit rauslesen und ins Digitalministerium nehmen“, zum Kollegen im Innenministerium und sagen: „Ich würde gern einen Teil Verwaltungsdigitalisierung nehmen“, und, und, und. Wenn da die Rückendeckung von der Führung da ist, dann funktioniert das relativ schnell. Wir müssen nicht von Null anfangen.
Wintergerst: Ja, jemand muss den Kritikern sagen, und da gehöre ich in meiner Bitkom-Rolle dazu: Wenn wir nie anfangen, wo sollen wir dann hinkommen? Auch wenn es kompliziert oder schwierig ist, vielleicht braucht man ein halbes Jahr, das braucht jedes Ministerium, um startbereit zu werden.
Sinemus: Wissen Sie, ich sage immer zu meinen Leuten hier, auch wenn ich dann quer komme, jetzt wird das gemacht, jetzt würde ich eine KI-Tour über Marktplätze machen und so weiter. Und die sagen immer, geht nicht. Sage ich, geht nicht, gibt es nicht. Und genauso muss man ein Digitalministerium entwickeln.
Wintergerst: Ich muss trotzdem nachfragen, jetzt gibt es irgendwann eine Koalition. Kann da was dazwischen kommen mit dem Digitalministerium, dass das in der Koalition zerschossen wird?
Sinemus: Ich kann nicht in die Glaskugel gucken. Ich kann nur sagen, dass ich nicht nur von der Union, sondern auch von anderer Seite gehört habe, dass sie das Thema Digitalministerium, nämlich die Zuständigkeit ressortübergreifend an einer Stelle zu bündeln, befürworten. Und da muss man diesen Schritt einfach mal gehen. Natürlich steckt man in Koalitionsverhandlungen nie im Detail drin, aber ich bin mir sicher, dass ein Kanzler Merz sagen wird, das brauchen wir, sonst verlieren wir an Dynamik und insbesondere an Wirtschaftsdynamik. Dieser Wirtschaftsstandort hat in den letzten Jahren enorm gelitten. Und Sie wissen selbst, Sie sind Unternehmer, irgendwann sagt ein Unternehmen schlichtweg, es reicht mir, ich gehe. Und das macht es nicht groß öffentlichkeitswirksam, sondern die sind einfach weg mit ihren Innovationen und Ideen.
Wintergerst: Klar. Und die Verwaltungsdigitalisierung ist heute schon ein Standortnachteil – so schlecht sind wir und so schlecht stehen wir im Ranking Europas. Aber wird ein Digitalministerium nochmal eine neue Dynamik in die Digitalministerkonferenz bringen? Sie sind auch Teilnehmer der Digitalministerkonferenz, in der sich die Verantwortlichen aus allen Bundesländern zusammengeschlossen haben, ähnlich wie beim Thema Bildung. Das könnte einen Schub geben, oder?
Sinemus: Ganz sicher wird das einen Schub geben. Wobei ich ehrlicherweise sagen muss, wir haben zwar eine Weile gebraucht, um eine Digitalministerkonferenz zu konstituieren. Ich habe mit der damaligen bayerischen Kollegin im September 2019 das erste Treffen dazu, übrigens am DE-CIX-Knotenpunkt, unserem europäischen Internet-Knotenpunkt in Frankfurt, gemacht und habe dazu alle Digitalverantwortlichen eingeladen. Ich habe gesagt, wir brauchen ein politisches Gremium, was ein wenig Richtung vorgibt. Und wir haben ziemlich lange gebraucht, nämlich bis letztes Jahr, um diese Fachministerkonferenz zu konstituieren – auch deswegen, weil die Zuständigkeit in jedem Land anders ist.
Wir sind in Hessen tatsächlich das einzige Land, das ein Digitalministerium hat, wo Budget und Digitalstrategie ressortübergreifend gesteuert werden. Wenn ich das in jedem Bundesland hätte, dann könnten wir eine andere Wirkkraft erzielen. Nur ein Bruchteil meiner Kollegen hat auch das Thema digitale Infrastruktur in ihrem Portfolio. Und dann habe ich nur drei, mit denen ich vorwärts gehen kann. Und das, das war ja Ihre Ursprungsfrage, wäre natürlich anders, wenn ich ein Digitalministerium mit genau diesen Zuständigkeiten hätte. Weil dann würde das Digitalministerium als solches auch zusehen, dass diese Themen in der Digitalministerkonferenz nicht nur diskutiert, sondern auch gemeinsam umgesetzt werden. Insofern würden wir eine ganz andere Dynamik entwickeln. Und deswegen halte ich das nochmal doppelt für richtig.
Wintergerst: Wenn ich auf Ihre Erfahrungen als sechs Jahre Digitalministerin und Innovationsministerin in Hessen blicken darf, Sie haben einige Fortschritte erreicht. Was würden Sie für Maßnahmen empfehlen, die man gerade am Anfang angehen muss? Weil neben Zuständigkeiten ist auch das Einbinden unheimlich wichtig. Was wäre Ihr 100-Tage-Programm für den, der es dann machen soll?
Sinemus: Ein Punkt ist auf jeden Fall, dass man schnellstmöglich die Budgetzuständigkeit klären und das auch entsprechend im Haushalt hinterlegen muss. Ich will Sie jetzt nicht mit Haushaltsdetails von Landesregierungen langweilen. Ich will nur sagen, es gibt in Hessen in der Zuständigkeit der Digitalministerin zwei Budgettöpfe. Das eine ist mein Budgettopf, den ich für mein Haus brauche. Und das andere ist der Steuerungsbudgettopf der gesamten Digitalgelder über alle Ressorts hinweg, die ich steuere. Und das ist ein erster Schritt, der auf jeden Fall umgesetzt werden muss, weil es auch ein handwerklicher Schritt ist, den man schnellstmöglich aufgleisen muss: die Budgetverantwortlichkeit an einer Stelle in dem eigenständigen Ministerium aufzusetzen und zu bündeln.
Wintergerst: Das ist grundsätzlich auch auf Bundesebene möglich, oder?
Sinemus: Das ist auf Bundesebene genauso möglich.
Wintergerst: Also handwerklich möglich, es braucht aber die Einigung zwischen den handelnden Spielern, die im Kabinett sitzen.
Sinemus: Richtig. Es braucht die Einigkeit, aber es braucht von der Führungspersönlichkeit von Anfang an diese Rückendeckung, wo gesagt wird, dass das so gemacht wird. Natürlich muss das der Finanzminister mitmachen, ist ja klar. Weil er hat die Budgetverantwortlichkeit in der ersten Zuständigkeit, also den grünen Haken des Budgets für die anderen Ministerien. Da ist die Digitalministerin erst in der Gesamthaushaltsdebatte, dann der Finanzminister. Diesen Weg müssen alle Kollegen zusammen gehen. So schlicht ist die Welt. Das wäre wesentlich, dass dieser erste Schritt auch auf Bundesebene gegangen wird.
Ein zweiter Schritt, weil Sie sagen 100 Tage. Ich könnte 100 Tage ohne Frage bespielen. Aber ein wesentlicher weiterer Punkt ist, dass man sich von vornherein Gedanken darüber machen muss, wie ich in Rechenzentren, Infrastruktur und KI investiere. Ich brauche ein Investment. Ich muss langfristig sehen, auf welchen Servern und wie wird hier in Deutschland, aber auch insbesondere in Europa gerechnet? Und wie verhalten wir uns in einer Gangart, die digitale Souveränität bedeutet? Und da können wir in Deutschland ein wesentlicher Player sein. Aber das wird nicht ohne Europa gehen. Und da die Umsetzung europäisch noch mal etwas langsamer geht, müssen wir von Anfang an wissen, wo wir hinwollen. Was ist unser Ziel für 2030? Wo soll die Bundesrepublik in der Recheninfrastruktur, in der Nutzung von KI, in der Umsetzung von Innovation und Disruption bei insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen, aber auch im Investment in Startups stehen? Diese Investitionsentscheidung, die muss relativ zügig getroffen werden, weil das ein langer Umsetzungsweg ist.
Wintergerst: Insbesondere wenn man sieht, wie beispielsweise die Vereinigten Staaten jetzt mit welchen Summen hantieren, in Projekte wie beispielsweise Stargate investieren. Das muss zwar alles noch anlaufen, aber das sind Riesensummen. Und wir brauchen mindestens ein Gegenprogramm oder ein eigenes Programm für uns, um die digitale Infrastruktur gut aufzubauen.
Gut, Sie sagen, dass „Teamwork makes the dream work“ auch für ein Kabinett gilt. Und ein Nordstern ist wichtig für uns alle, was Digitalisierung und Innovation betrifft. Da sprechen sie mir aus dem Herzen.
Aber jetzt gehe ich mal ins Detail. Haben Sie ein Lieblings-Digitalisierungsprojekt, was Ihnen am Herzen gelegen hat und fertig ist, oder Ihnen immer noch am Herzen liegt, weil es im Gange ist?
Sinemus: Also mir liegt das Thema KI und alles, was ich an der Schnittstelle KI-Ökosystem tun kann, ganz besonders am Herzen. Also dass wir gerade mit den Rechenzentrumskapazitäten, die wir hier in Hessen haben, wir sind das europäisch größte Datenhub. Wir haben hier viele tolle Mittelständler. Wir haben hier 18 Hochschulen, die hervorragendes Know-how entwickeln. Ich selbst, meine Alma Mater ist die TU Darmstadt – natürlich hängt da mein Herz dran. Aber da sind auch viele KI-Professoren. Dort haben wir gemeinsam über alle Ressorts der letzten Legislatur „hessian.AI“ als Forschungsstand eingerichtet.
Mein Lieblingsprojekt ist, aus der Forschung die digitale Transformation in die Umsetzung zu bekommen und hier wirklich wirtschaftliche Prosperität zu entwickeln. Das geht nur, indem man an einem Strang KI-Zukunft schreibt. Und so haben wir in Hessen ressortübergreifend eine KI-Zukunftsagenda geschrieben, in der letzten Legislatur 100 Millionen in KI investiert. Diese Investments, die in die in verantwortungsvolle Digitalisierung als interdisziplinäre Forschung, in ein Forschungsinstitut, in 150 Startup-Unternehmen, in Beratung von KMUs, in ein AI Quality & Testing Hub sowie in ein Innovationslabor geflossen sind – das sind jetzt erst mal die Basisprojekte.
Mein großes Ziel ist es jetzt, und mein Lieblingsprojekt aus diesem KI-Ökosystem, eine Transformation auf den Weg zu bekommen und zu sagen, es geht und wir möchten gern der europäische Wettbewerbsstandort werden, der einen Piloten im Bereich digitale Reallabore, aber auch in der Umsetzungskraft der Digitalwirtschaft bedeutet.
Da liegt mir sehr viel dran, weil ich habe begonnen 1996 mein erstes Unternehmen aus der TU zu gründen, 1998 mein zweites. Und ich kann Ihnen eins sagen, der Weg war steinig und er war nicht immer leicht. Damals war es noch nicht en vogue, aus Hochschulen auszugründen. Heute ist es wichtig und auch angesehen, das zu tun. Und hier brauchen wir eine andere Dynamik.
Wintergerst: Ja, wir haben vor einiger Zeit mal gemeinsam die UnternehmerTUM in München besucht. Da hatten Sie gesagt, Mensch, also in Deutschland könnten wir sechs, sieben, acht dieser Hubs gebrauchen. Kommen Sie voran, das im Rhein-Main-Bereich weiter auszubauen?
Sinemus: Da sind wir, das ist das KI-Ökosystem. Das ist schön, dass Sie das nochmal so ansprechen. Genauso, wir möchten gern die Stärken von anderen Regionen nachmachen in Anführungsstrichen. Je mehr wir nachmachen, umso besser. Wir müssen hier miteinander kooperieren. Ich habe gerade mit dem Kollegen aus München darüber gesprochen und zwar mit ihm sowie dem Startup-Beauftragten, der bei mir im Digitalministerium angesiedelt ist, Holger Follmann, wie wir diesen Startup-Hub hier in Hessen kooperativ auf den Weg bringen können. Dazu gehört einerseits die Bewerbung um die Startup-Factory, wo wir sehr aktiv sind. Zum Zweiten aber auch all die Aktivitäten Hessens an einem Ort zusammenzubringen, dass hier ein UnternehmerTUM II oder ein Hessen-KI-System entwickelt werden kann. Wir werden uns schon auch auf das KI-Thema fokussieren, dass wir hier gemeinsam stark werden können. Stärken stärken ist das, was mir wichtig ist.
Wintergerst: Wir müssen fast für unsere Hörerinnen und Hörer einen kurzen Exkurs machen, weil die UnternehmerTUM oder das, was Sie jetzt angehen, ist eine perfekte Symbiose aus Wissenschaft, also Hochschule, Ausgründungen, privaten Investitionen, durch die das massiv getragen wird, zum Teil auch kleineren öffentlichen Förderungen, um daraus neue Unternehmen und neue Innovationen zu gestalten. Das ist wahnsinnig wichtig, damit wir den KI-Take-Up geben, von dem Sie gesprochen haben.
Ich möchte noch mal auf die Verwaltungsdigitalisierung zurückkommen. Wir hatten vorhin festgestellt, dass es mittlerweile fast ein Nachteil ist, in Deutschland ansässig zu sein, weil es so viele unterschiedliche Regeln gibt. Braucht es da einen Befreiungsschlag? Und ich muss auch noch zum Föderalismus zurückkehren. Braucht es dazu eine Föderalismusreform, damit es schneller geht und man deutschlandweit gute Nutzung von Applikationen umsetzen kann? Das funktioniert ja irgendwie noch nicht.
Sinemus: Also da braucht es eine gute Balance. Einerseits schätzen wir die kommunale Selbstverwaltung, die Nähe zu den Bürgern hat und damit viele Vorteile birgt. Nun gibt es in Deutschland fast 11.000 Gemeinden, die völlig unabhängig von der Größe in vielen Dingen auf sich selbst gestellt sind. Ich bin davon überzeugt, dass Gemeinden sehr große und komplexe Fachanwendungen ausschreiben, beschaffen und einführen und sich dabei auch zusammentun müssen. Das ist etwas, was wir hier in Hessen mit einem eigenen Förderprogramm unterstützen. Wir haben ein Förderprogramm, das heißt Smart Region, in dem wir einerseits allen Gemeinden und Kommunen Hessens eine standardisierte Software finanzieren und zur Verfügung stellen, damit man einheitlich rechnen kann und auch Informationen austauschen kann. Und zum Zweiten fördern wir mit Geldern interkommunale Zusammenarbeit und Projekte, die die Kommunen befördern sollen, gemeinsam zu arbeiten. Das ist etwas, was wir auf Bundesebene noch viel stärker tun müssen: Synergien, Schnittstellen und Standardisierung in der Verwaltungsdigitalisierung zu fokussieren.
Dabei kann man durchaus überlegen, dass man das deutlich zentralisiert, indem man Standards zentralisiert, um nicht immer wieder das Rad neu zu erfinden. Da wird insbesondere der Bund gefordert sein, da sich die überwiegende Zahl der bürgerrelevanten Leistungen auf Gesetze des Bundes bezieht und die Digitalisierung immer vom Anfang an gedacht werden muss. Und dieser Knoten, dass föderal und Bund nicht zusammenpasst, oder Kommune vereinzelt und Bund auch nicht zusammenpasst – nein, wir müssen es als Prozess von hinten gedacht gemeinsam umsetzen. Das heißt, dass man an manchen Stellen auch zentralistischer denken und umsetzen muss.
Wintergerst: Wir müssen hoffen, dass das funktioniert. Wir hatten vorhin gesagt „Teamwork makes the dream work“, auch im Kabinett. Ich glaube, Bürgerinnen und Bürger wollen sehen, dass es eine Mindestkooperation zwischen Bund, Länder und Kommunen, aber auch im Kabinett gibt. Das müssen wir auch erreichen durch die Leute, die wir dort hineinwählen. Deswegen ist es wichtig, zur Wahl zu gehen, oder? Aber gut, wir machen hier keine Wahlwerbung
Sinemus: Das unterstütze ich vollkommen. Demokratische Parteien zu wählen, das müssen wir tun. Und das sollten wir auch, wo es nur geht, immer wieder bewerben, dass man bitte wählen gehen möchte. Das Digitalministerium ist eine Wahl, die dann hoffentlich nach der anderen Wahl auch in die Umsetzung kommt.
Wintergerst: Ich habe eine kurze Detailfrage zu unserer digitalen Infrastruktur, Mobilfunkmasten und der Genehmigungsfiktion. Das dauert unheimlich lange, bis man etwas genehmigt. Ist das Thema aus Ihrer Sicht mittlerweile gelöst? Geht das schneller? Mittlerweile sind wir zwar nicht schlecht in 5G, aber bei dem einen oder anderen hängt es ja noch hinterher.
Sinemus: Auch da gibt es sehr verschiedene Ebenen, wo wieder die kommunale, die Landes- und die Bundesebene miteinander arbeiten sollen und müssen. Das tun wir. Wir sind auf einem guten Weg. Wir haben jetzt in Hessen in der letzten Legislatur zweimal die Hessische Bauordnung angeglichen, und zwar so, dass wir schneller Mobilfunkmasten bauen können. Mir ist das Thema Genehmigungsfiktion sehr wichtig. Da bin ich im Gespräch mit meinem Kollegen Wirtschaftsminister. Bei dem ist die Hessische Bauordnung ressortiert. Wir wollen gemeinsam genau das tun, was Sie gerade angesprochen haben. Wir wollen eine Genehmigungsfiktion und damit eine Erleichterung des Baus auf den Weg bekommen.
Ich glaube, was die Bundesregierung auch in der nächsten Legislatur angehen muss, ist das Thema Breitbandausbau. Und da ist das Thema übergeordnetes öffentliches Interesse eines, was in der Telekommunikationsgesetzgebung stockt, aber das aus meiner Sicht umgesetzt werden muss. Es muss Priorität haben, dass wir schnellstmöglich bestmögliche Infrastruktur haben. Sonst brauchen wir keine Innovationen umsetzen.
Wintergerst: Das stimmt, da bleibt es stecken. Und es bleibt auch bei Bildung und digitalen Kompetenzen stecken. In Deutschland ist nicht immer Offenheit für die letzte Technologie da. Wir stehen dem eher skeptisch gegenüber. Gleichzeitig fehlen uns viele Fachkräfte. Ausgleichen können wir das über Aufklärung und über digitale Bildung. Das müssen wir gut voranbringen.
Jetzt gibt’s doch noch eine lang erwartete Einigung zum Digitalpakt 2.0. Der Interims-Bildungsminister Cem Özdemir hat das auf die Beine gestellt. Kriegen wir das noch voran? Das hat jetzt ein Grüner ausverhandelt, aber die Bund-Länder-Einigung mit der Union muss ja noch umgesetzt werden. Kriegen wir das vorwärts? Das wäre ein wichtiges Puzzlestück.
Sinemus: Also digitale Bildung ist mir ganz, ganz wichtig. Wirklich, mir ist das extrem wichtig. Und kriegen wir das noch umgesetzt? Ich sage mal, der Digitalpakt 2.0 ist dann umgesetzt, wenn im Haushalt die Gelder vorhanden sind. Auch das muss man schlichtweg sagen. Wir können alles Mögliche ausverhandeln. Wenn wir es nachher nicht finanzieren können, wird es schwierig. Wir sind in Hessen auch da wieder den ressortübergreifenden Weg gegangen. Und das ist die Aufgabe in den Budgets, um nochmal auf den Anfang zurückzukommen. Es geht nicht darum, dass eine Digitalministerin oder ein -minister auf dem Geldtopf sitzt. Es geht darum, dass man mit diesem Geld gemeinsam Projekte erdenkt, ressortübergreifend, die eine andere Perspektive auf die Sache haben.
Und so haben wir in Hessen in der letzten Legislatur an der Schnittstelle zu Kultus ein neues Unterrichtsfach pilotiert und jetzt eingeführt. Das heißt digitale Welt. Digitale Welt heißt fächerübergreifender Unterricht, der in der Klasse 5 bis 7 verbindlich ausgerollt wird und in der Klasse 7 bis 9 pilotiert wird. Da geht es darum, dass man den Schülerinnen und Schülern deutlich macht, dass Digitalisierung nicht nur IT ist – die lernen da auch programmieren –, sondern dass IT Problemlösung werden kann – zum Beispiel, dass man einen kleinen Mähroboter programmieren könnte, der den Krokus stehen lässt, aber den Rasen mäht. Dieses Unterrichtsfach ist ein Anker.
Ein zweiter war, dass das Digitalministerium den Digital Truck eingerichtet hat. Das ist ein großer LKW, der mit Exponaten zu Grundschulen fährt und erklärt, was KI ist oder wie man mit digitalen Technologien kleine Filme schneiden kann. Diesen Digital Truck haben wir pilotiert und den hat jetzt das Kultusministerium in den Regelbetrieb übernommen. Auch das ist ein Teil von digitalen Kompetenzen stärken.
Und ich sage noch einen letzten Bereich und der ist mir auch ein Herzensthema. Ich glaube, sowohl an der Umsetzung von KI in der Verwaltungsdigitalisierung oder KI in der Medizin oder KI in der Bildung haben wir es in den letzten Jahren ein bisschen versäumt, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen. Viele wissen gar nicht so recht, was sich hinter diesem sperrigen Begriff verbirgt. Dass viele Angst davor haben, dass KI ihnen den Arbeitsplatz wegnimmt und nicht verstehen, dass KI eine Assistenz und ein Helfer am Arbeitsplatz sein kann. Das kann man ihnen nicht verübeln.
Deswegen ist es nicht nur wichtig, in Schule, Bildung in Fachkräfte zu investieren, sondern schlichtweg zu den Bürgerinnen und Bürgern zu gehen. Und das mache ich mit meiner Tour „KI macht Zukunft“. Hessen spricht über KI, wo ich mit 20 Exponaten und „Willi wills wissen“ über die Marktplätze von Hessen ziehe und erkläre, was ein Feuerwehrroboter ist, wie man mithilfe von KI die „Ahle Wurscht“ optimieren kann oder mit digitalen Zwillingen Stadtplanung machen kann.
Wintergerst: Neben „Teamwork makes the dream work für das Kabinett“ bräuchte man auch ein Team Deutschland, was gemeinsam an der technologischen Zukunft arbeitet, damit wir vorwärtskommen.
Also liebe Frau Professorin, es war ein tolles Gespräch. Wir könnten jetzt noch weiter reden, aber ich habe noch eine Abschlussfrage. Was machen Sie am Wahlabend?
Sinemus: Habe ich mir ehrlich gesagt noch gar nicht überlegt. Wahrscheinlich sitze ich zu Hause mit meinen Kindern und meinem Mann. Und wenn nicht, kann es aber durchaus sein, dass ich beim Kreisverband den Kopf reinhalte. Auf jeden Fall das Fernsehen um 18 Uhr einmachen, um die erste Hochrechnung zu sehen.
Wintergerst: Das auf jeden Fall, oder? Dann wünsche ich viel Erfolg. Erstmal für die Zukunft, für ein gemeinsames digitales Deutschland und, wir beide haben das eine oder andere Vorhaben im Kopf, auf erfolgreiche Projekte. Vielen herzlichen Dank für das Gespräch.
Sinemus: Vielen Dank.