Dr. Ralf Wintergerst:
Lieber Herr Göbel, vielen Dank, dass Sie sich heute Zeit für den Podcast nehmen. Ich freue mich auf unser Gespräch.
Lutz Goebel:
Ich mich auch. Danke.
Dr. Ralf Wintergerst:
Sie waren schon in vielen Rollen in Ihrem Leben tätig. Sie waren Präsident des Familienunternehmer-Verbands, Geschäftsführer, Unternehmensberater, immer noch Unternehmer. Sie hatten mir gesagt, dass Ihre Tochter jetzt das Familienunternehmen führt, Sie nur noch draufschauen. Aber Sie sind auch seit 2022 der Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrates. Wenn Sie alle Ihre Funktionen aus der Vergangenheit nehmen: Was war es, das Sie auf diese Aufgabe im Normenkontrollrat am besten vorbereitet hat?
Lutz Goebel:
Ich war sechs Jahre lang Präsident des Verbandes Familienunternehmer. Und da waren wir an der Politik sehr nah dran. Und die Idee von Christian Lindner und Herrn Buschmann, mich zum Vorsitzenden zu wählen, war die: Wir nehmen am liebsten keinen Politiker, sondern einen Unternehmer, der mit einem frischen Blick auf die Lage der Bürokratie, der Digitalisierung schaut. Das passt auch. Ich kannte die politischen Prozesse nicht gut und nicht gut genug. Das habe ich mittlerweile gelernt. Ich denke, meine Zeit als Familienunternehmer-Präsident, das hat mir sehr geholfen.
Dr. Ralf Wintergerst:
Dann haben Sie jetzt einen richtig holistischen Blick auf Unternehmertum, Verbandsarbeit, für eine Art unabhängige Beratung der Bundesregierung. Hat das schon Ihren Blick auf Digitalisierung, Bürokratieabbau und Gesetzgebung verändert?
Lutz Goebel:
Man muss leider sagen, dass wir uns in zwei Welten befinden. Wenn Sie in einem Unternehmen sind, das wissen Sie selbst, haben Sie eine Gestaltungsmacht und Sie können etwas umsetzen. Und wenn Sie die Leute hinter sich haben, dann passiert auch was.
In der Politik ist das ganz anders. Der Bundeskanzler ist nicht der CEO der Bundesregierung. Er hat eine Richtlinienkompetenz, aber in letzter Konsequenz gilt das Ressortprinzip und die Minister können selbst entscheiden, ob sie Dinge machen oder nicht. Das macht die Dinge extrem kompliziert.
Hinzu kommt, dass wir in Deutschland 11.000 Kommunen haben, die höchst unterschiedliche IT-Systeme haben, die nicht unbedingt kompatibel sind. Bis jetzt hat sich der Bund immer davor gescheut, klare Standards vorzugeben und Schnittstellen zu definieren, an die sich alle IT-Systeme anschließen müssen. Das macht die Dinge schon unglaublich kompliziert. Der Föderalismus ist da leider nicht hilfreich.
Dr. Ralf Wintergerst:
Da sprechen Sie mir aus dem Herzen. Ich bin als Präsident des Bitkom, also Deutschlands Digitalverband, ehrenamtlich tätig und muss auch lernen, wie das politische System funktioniert. Mehr Kooperation, mehr Zusammenarbeit und vielleicht auch ein CEO an der Spitze Deutschlands würden uns guttun.
Aber vielleicht kommen wir zu meiner eigentlichen Frage: Was macht der Nationale Normenkontrollrat? Das ist ja eher etwas für politische Kenner, der ist nicht so im Vordergrund. Könnten Sie uns mit einfachen Worten erklären, was der NKR macht, wie er arbeitet und wie Sie Ihre Rolle als Vorsitzender wahrnehmen?
Lutz Goebel:
Der Nationale Normenkontrollrat wurde 2006 in der Großen Koalition unter Angela Merkel mit der Idee gegründet, dass man der Regierung den Spiegel vorhält für das, was sie tut. Was verursachen Politiker mit Gesetzen an Erfüllungsaufwand, also einmaligem Aufwand in Form von Umstellung oder wiederkehrendem Aufwand. Dieser Erfüllungsaufwand betrifft die Wirtschaft, aber auch Bürger und Verwaltung. Das ist der Spiegel, den wir vorhalten.
Wir haben das in meiner Amtszeit – ich bin jetzt seit etwas über drei Jahren hier Vorsitzender – ein wenig umgedreht. Also von dieser Kernaufgabe Gesetzesprüfung – sind die Gesetze ordentlich gemacht, gibt es dazu keine Alternativen, wie hoch ist der Erfüllungsaufwand, kann man das nicht ganz anders machen? – haben wir praktisch den Normenkontrollrat in ein umfassendes Beratergremium für die Bundesregierung umdefiniert.
Wir geben also Empfehlungen ab, wie man Bürokratie abbauen kann, wie man zum Beispiel Planungs- und Genehmigungsverfahren nachhaltig beschleunigen kann. Wir gründen auch regelmäßig Arbeitsgruppen zu Themen, die politisch aktuell sind. Das haben wir bei der Fachkräfteeinwanderung oder der Verwaltungsdigitalisierung gemacht. Wir haben auch eine Reihe von Gutachten erstellt, in denen wir Dinge beleuchten, die uns weiterhelfen können, dabei unseren Sozialstaat umzubauen, der heute hochkomplex ist und der dauerhaft so nicht funktionieren wird. Wir sind ein umfassendes Beratergremium und unterstützen die Bundesregierung, aber auch das Parlament.
Dr. Ralf Wintergerst:
Berechnen Sie auch, wie Kosten anfallen und was für Aufwände kommen? Haben Sie da Methoden, wie das berechenbar gemacht wird?
Lutz Goebel:
Es ist eher so, dass die Ressorts, also die Ministerien, wenn sie ein Gesetz präsentieren, diesen Aufwand ermitteln müssen. Manchmal nutzen sie dazu das Statistische Bundesamt, manchmal machen sie es selbst. Dann wird ermittelt, wie hoch der Zeitaufwand für den Bürger oder die Wirtschaft ist, eine gewisse gesetzliche Auflage zu erfüllen.
Wir prüfen, ob das plausibel ist, ob das Sinn macht, ob die Annahmen richtig sind. Mittlerweile prüfen wir aber auch, ob man überhaupt ein solches Gesetz braucht oder ob man es nicht anders lösen kann, und machen Vorschläge an die Regierung.
Dr. Ralf Wintergerst:
Das heißt, dass jedes Gesetz, das verabschiedet wird, diesen Spiegel gehabt hat? Wie ernst wird das von den einzelnen Ministern und Ministerien genommen?
Lutz Goebel:
Das ist eine sehr gute Frage. Bis jetzt wurde das nicht ernst genug genommen. Das muss man klar sagen. Also der Aufwand wurde ermittelt. Ich nenne mal das Gebäudeenergiegesetz, im Volksmund Heizungsgesetz genannt. Da ist der Einmalaufwand die Anschaffung einer Wärmepumpe. Der wiederkehrende Aufwand ist der Betrieb einer Wärmepumpe. In aller Regel sind das Heizkosten und Ähnliches. Der Aufwand, der daraus entsteht, war der größte Aufwand in der ganzen letzten Legislaturperiode. Das hat aber nicht dazu geführt, dass das Wirtschaftsministerium gesagt hat, wir machen das Gesetz nicht oder wir machen es ganz anders, sondern man hat das in Kauf genommen.
Mittlerweile hat das die Bundesregierung eingesehen, und das gilt für die beiden regierenden Parteien, aber auch für andere Parteien, dass die Bürokratie uns erdrückt und man so nicht mehr weitermachen kann.
Wir haben eine Art Zielkonflikt: Die Politiker wollen gern alles ganz genau regeln. Auch weil die Bürger es genau geregelt haben wollen. Es gibt das Thema Einzelfallgerechtigkeit. Dann ist die logische Konsequenz eine überbordende Bürokratie.
Wir können das nicht mehr darstellen. Die Kommunen, die am meisten darunter ächzen, weil sie die Gesetze umsetzen müssen, die haben gar nicht die Leute. Es gehen viel mehr Leute in den Ruhestand, als da neue nachkommen. Es kann kaum noch umgesetzt werden, geschweige denn kann die Umsetzung kontrolliert werden.
Dr. Ralf Wintergerst:
Das erinnert mich an ein paar Gespräche, die ich auch im Unternehmen habe. Hatten Sie wahrscheinlich als Unternehmer auch, dass beispielsweise IT-Abteilungen die Prozesse immer genau geregelt haben wollen oder die Anwender. Am Ende des Tages ist, gerade im Unternehmen, die Einstellung zu einer Sache wichtig.
Wie bekommen wir denn einen Einstellungswechsel in der Politik hin, dass man nicht alles regeln sollte, aber auch bei der Bevölkerung, dass nicht alles bis ins letzte Detail geregelt worden ist und jeder auch seinen Menschenverstand einsetzen kann? Das geht über den Normenkontrollrat hinaus, aber es bietet sich an, darüber zu philosophieren.
Lutz Goebel:
Es wäre am klügsten, wenn die Politik die Ziele vorgibt und die Umsetzung praktisch mit den Kommunen diskutiert und festgelegt wird. Das findet aber heute nicht statt. Die Gesetze werden heute noch genauso wie in den 50er Jahren gemacht. Das macht in letzter Konsequenz ein Referatsleiter in einem federführenden Ministerium. In aller Regel ist das ein Jurist und der sagt: Wie muss das juristisch alles ausformuliert werden?
Es wäre sehr viel klüger zu sagen: Was brauchen wir und wie können wir das Ganze so aufsetzen, dass möglichst wenig Erfüllungsaufwand entsteht? Das betrifft zum Beispiel die Umsetzung von EU-Gesetzen. 57 Prozent der Gesetze kommen aus der EU. Es gibt aber andere Länder in der EU, die diese Gesetze sehr viel klüger umsetzen. Das sollten wir lernen.
Die erste Frage ist: Wie können wir das möglichst bürokratiearm umsetzen? Dann kann man fragen: Wie machen wir das jetzt? Da kann man sehr viel tun. Wir stellen uns als Normenkontrollrat vor, dass alle Gesetze visualisiert werden. Das ist so eine Art Fließchart: Wie hängen Dinge zusammen? Wo kommen Daten her? Auf welcher Basis werden sie weiterverarbeitet? Dieses Fließchart wird aufgemalt und zeigt, das ist das Gesetz, so wie wir es machen wollen. Dann überlegt man sich, wie man das macht.
Die zweite Frage ist: Wie kriegen wir die Bürger? Der Politiker ist nicht derjenige, der sich immer die Detailregulierung überlegt, sondern er ist das Spiegelbild der Gesellschaft. Er will das tun, was sich die Gesellschaft wünscht – und die Gesellschaft wünscht sich viele Detailregulierungen. Detailregulierung heißt, dass die Deutschen nicht wollen, dass jemand Geld bekommt, das ihm nicht zusteht. Aber diese Detailregulierung können wir uns nicht mehr erlauben, sie kann nicht mehr umgesetzt werden. Dafür haben wir nicht die Leute. Wir müssen dazu übergehen, Dinge grob festzulegen und dann im Detail mit den umsetzenden Behörden zu besprechen. Dieser Kulturwandel mit der Bevölkerung ist ein langer Weg.
Dr. Ralf Wintergerst:
Das kennen wir beide auch als Unternehmer, oder? Kulturwandel dauert immer lange. Strategien kann man schnell aufschreiben, Kultur hält sich hartnäckig.
Beim Normenkontrollrat gibt es auch das Thema der Digitaltauglichkeit, das in Effizienzfragen mündet. Als Digitalverbandspräsident interessiert mich Ihr Blick darauf, ob ein Gesetz digital umsetzbar ist. Aber was heißt das, dass ein Gesetz digitaltauglich ist?
Lutz Goebel:
Es geht als Erstes darum, ob das Gesetz am Ende digital umgesetzt wird. Also kommuniziert irgendeine IT direkt mit dem Bürger? Diese Frage muss beantwortet werden. Dann muss man sich eben überlegen, wie die Systeme aussehen, die so etwas tun.
Wir sind seit Anfang 2023 beauftragt, den Digitalcheck durchzuführen. Wir schauen uns an, was das federführende Ressort im Detail geprüft hat, ob das digitaltauglich ist. Digitaltauglich heißt in letzter Konsequenz ein vollautomatischer Prozess. Der Bürger muss nicht aufs Amt, der muss da nicht erscheinen, die Schrifterfordernis entfällt und im besten Falle ist es ein vollautomatischer Prozess. Das wird vielleicht nicht von vornherein schnell gehen, aber das Ministerium sollte sich überlegen, wie wir dahin kommen. Das läuft noch nicht so rund, wie wir uns das wünschen. Das ist etwas, da hinken wir noch hinterher.
Dr. Ralf Wintergerst:
Wenn wir uns europaweit vergleichen – es gibt ja genügend Vergleichsstudien auch über die Europäische Union, den DESI-Index –, liegen wir bei der Verwaltungsdigitalisierung hinten, nämlich im letzten Drittel. Machen Sie oder auch die Ministerien genügend Benchmarks mit anderen Ländern? Es gibt andere Länder, die das hervorragend lösen.
Lutz Goebel:
Das hört die Regierung nicht so gern, wie schlecht wir da gerankt sind. Aber man liest das dauernd. Wenn man in andere Länder reist, zum Beispiel Dänemark oder Estland, dann wissen wir, dass die viel weiter sind.
Man muss Länder wie Estland, die eine Stunde Null hatten, außen vor lassen, weil sie bei Null anfangen konnten, sich die besten Berater geholt und das gleich von vornherein richtig gebaut haben. Das ist etwas, das der Digitalminister sieht und mit seiner Erfahrung adressieren kann, dass wir dort besser werden.
Unser Thema ist dort der Föderalismus. Der ist schwierig. Der Bund kann den Ländern wenig vorschreiben. Wir haben eine Verfassung, in der auf höchstmögliche Arbeitsteilung geachtet wurde. Das führt dazu, dass bei Prozessen, die vom Bund über die Länder in die Kommunen gehen, ein durchgängiger Prozess nicht von vornherein sauber funktioniert.
Der Bund hat die Idee. Wie bekommen wir das hin? Das geht am besten mit Geld. Man kann Prozesse selbst entwickeln. Man kann gewisse Verwaltungsprozesse von einem machen lassen und die anderen können das für wenig Geld nachnutzen.
Mein Vorschlag wäre, dass man den Bundesländern kein Geld geben sollte, wenn man im Gegenzug kein Entgegenkommen bei strukturellen Maßnahmen bekommt. Die Länder schreien immer nach Geld. Ja, gerne, aber nur, wenn du hier an der und der Stelle, bei der Schnittstelle, bei den Benchmarks, auch mitmachst.
Dr. Ralf Wintergerst:
Das wäre zumindest mal eine Umkehrung der Diskussion. Finde ich einen guten Vorschlag.
Aber Sie haben ein Stichwort gesagt: das Ministerium für Digitales und Staatsmodernisierung. Wir haben dieses Ministerium seit der Bundestagswahl. Der Normenkontrollrat ist dort mittlerweile angesiedelt. Das war früher mal das Kanzleramt, das Justizministerium. Wie wirkt sich diese neue Verortung auf Ihre Arbeit aus?
Lutz Goebel:
Grundsätzlich sind wir unabhängig. Keiner kann uns Weisungen erteilen. Aber wir sind da an der richtigen Stelle. Dort fließen Digitalisierung und Staatsmodernisierung zusammen. Dort werden die ganzen Themen, die uns betreffen, adressiert. Wir haben sehr, sehr viel Know-how, das wir einbringen können. Wir können dem Digitalministerium helfen, zum Beispiel Bürokratie rückzubauen. Wir sind an der richtigen Stelle und wir haben die richtigen Leute. Deswegen begrüße ich das sehr, dass wir dort sind. Ich habe auch den Eindruck, dass die Aufstellung gut ist.
Leider muss man sagen, dass alles sehr, sehr lange dauert. Anfangs hatte das Digitalministerium ja noch nicht mal einen Haushalt. Jetzt sind wir im Haushalt 2026 vorgesehen. Die letzte Verwaltungsvereinbarung ist bis jetzt nicht geschlossen. Das dauert in Deutschland leider immer alles sehr lange, weil alle mitreden können.
Dr. Ralf Wintergerst:
Den Eindruck habe ich leider Gottes auch, denn der Erlass des Kanzlers nach der Koalitionsvereinbarung war sehr eindeutig. Es hätte schnell gehen können. Da kann ich nur zustimmen.
Wenn Sie so auf die ersten Monate des Ministeriums, auch der Regierung schauen: Was ist Ihnen aufgefallen? Was macht Ihnen Mut? Wo müsste man schneller sein? Wo ist Luft nach oben? Einen Punkt haben Sie schon genannt: die Geschwindigkeit.
Lutz Goebel:
Ich halte das Vorgehen für genau richtig. Es ist jetzt erst mal ein ambitioniertes Ziel definiert worden: 25 Prozent der Bürokratiekosten sollen abgebaut werden. Wir haben etwa 65 Milliarden Bürokratiekosten. Davon ein Viertel, also etwa 16 Milliarden, und auch 10 Milliarden Erfüllungsaufwand sollen abgebaut werden. Ein ambitioniertes Ziel ist gut.
Jetzt muss man die Frage stellen: Wo kommen die größten Lasten her? Das lässt sich vom Statistischen Bundesamt ableiten. Es gibt Ministerien, die produzieren die meisten Gesetze und am meisten Bürokratie. Sie werden es nicht glauben: Das Finanzministerium ist an allererster Stelle. Dann haben wir Arbeit und Soziales, Justiz, Innenministerium und Gesundheit. Das sind so die Ministerien, die bringen ganz besonders viel.
Wo sind die dicken Hämmer, die wir beseitigen müssen? Das ist genauso, wenn Sie im Unternehmen die Frage stellen: Wie können wir Bürokratie abbauen oder die Organisation vereinfachen? Das müsste im Staat genauso erfolgen.
Ich stehe als NKR-Vorsitzender auch dem Staatssekretär für Bürokratieabbau bei. Ich darf keine Details verraten, aber die Bereitschaft, Bürokratie abzubauen, ist bei den Ministerien höchst unterschiedlich ausgeprägt.
Wenn Sie einen Beamten fragen, soll er ein Gesetz abbauen, das er selbst mal gemacht hat, wird er sagen: Ja, wieso, ist doch alles gut? Warum soll ich da was abbauen? Aber darum geht es nicht. So können wir es nicht machen. Die erste Frage ist: Ist das Gesetz noch sinnvoll? Brauchen wir das noch? Kann man die Umsetzung nicht viel besser machen? Diese Fragen muss sich der Staat im Detail stellen, er muss sich alle Prozesse anschauen.
Es gibt die sogenannten Praxischecks. In der Ampelregierung hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima eine Reihe von Praxischecks gemacht. Einerseits die Themen, die bei den Grünen recht nahe lagen, also Windenergie und Photovoltaik. Warum dauert das so lange, wo sind die Hindernisse? Aber man hat sich auch das Gründungsgeschehen angeschaut oder man hat sich die Schwertransporte angeschaut und hat gesehen: Bei Windkraft gab es 70 Hindernisse. Das sind nicht nur Bundeshindernisse, sondern das sind Länderthemen, das sind Bezirksregierungen, das sind alle möglichen Themen, an denen man arbeiten muss. Das sind komplexe Prozesse, denen sich das Land stellen muss.
Dr. Ralf Wintergerst:
Von diesen 65 Milliarden, die Sie erwähnt haben, sind 25 Prozent ein realistisches Einsparziel? Kann man das machen? Bekommt man das hin?
Lutz Goebel:
Das ist ambitioniert, aber machbar. Das hängt von der Bereitschaft der Ministerien ab und von der des Kanzlers, ein Machtwort zu reden. Wenn die Erkenntnis da ist, dass es so nicht weitergeht, dass wir uns gegenseitig behindern, dass alles zu lange dauert – und die Erkenntnis ist da –, muss man auch rangehen und sagen: Wie beschleunigen wir das?
Wir sehen das jetzt, wir haben eine Arbeitsgruppe gegründet für den Pakt für Planungs- und Genehmigungsverfahren. Wir haben viele Maßnahmen vorgeschlagen. Federführung hatte das Kanzleramt. Das Kanzleramt hat die Hälfte der vor uns vorgeschlagenen Maßnahmen übernommen. Davon sind jetzt etwa 30 Prozent umgesetzt, also ist noch viel Raum.
Es gibt schon eine Reihe von Verfahren, die sehr viel schneller geworden sind. Also ich habe in Mönchengladbach einen Rüstungsunternehmer bei einer Veranstaltung kennengelernt, der sagte, das geht alles viel, viel schneller als vorher. Das gibt es schon vereinzelt. Wir sehen das als NKR bei der Gesetzesprüfung, dass Gesetze zur Vereinfachung schon durchschlagen. Der Bauturbo, der eine erhebliche Entlastung mit sich bringt, den gibt es schon.
Auf der anderen Seite haben wir leider auch Gesetze aus der EU, die sehr aufwendig sind. NIS2, das wissen Sie mehr als ich, ist ein hochkomplexes, massives Gesetz, was so ein Unternehmen wie unseres – wir haben hier in der Unternehmensgruppe 300 Mitarbeiter – massiv überfordert. Wir haben keine zehn IT-Leute hier, die an solchen Themen arbeiten können. Das ist noch zu gewaltig. Oder die Entwaldungsverordnung, wo nachgewiesen wird, wie Holz oder Papier verwendet wird und wo es herkommt. Ganz zu schweigen von der Lieferkettenrichtlinie, die ja abgeschafft werden sollte, aber das bislang nicht ist.
Dr. Ralf Wintergerst:
Auch da sprechen Sie mir aus dem Herzen. Ich habe das im Unternehmen genauso. Die Umsetzung ist oft praxisfern und deswegen beschweren sich Unternehmen zu Recht. Auch als Bitkom haben wir das immer wieder, dass wir einfach Bürokratieabbau brauchen und Innovationsfreundlichkeit an allererste Stelle stellen müssen.
Hätten Sie vielleicht noch ein, zwei weitere Beispiele? Ich glaube, diese Praxisbeispiele sind diejenigen, die wir mehr in die Öffentlichkeit bringen müssen, vielleicht auch bei Veranstaltungen. Wir machen als Bitkom eine große Veranstaltung, die Smart Country Convention, wo wir Regierungsstellen und Anbieter von Lösungen zusammenbringen. Die müssen wissen, wo sie ansetzen.
Lutz Goebel:
Die größten Themen, die wir haben, sind EU-Gesetze. Da kommen die dicken Hämmer her. Auch Nachhaltigkeitsberichterstattung. Jetzt gibt es die Omnibus-Gesetze, wo Erleichterungen kommen sollen, aber die sind noch nicht alle sichtbar. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung wird aus jetziger Sicht zwar zwei Jahre später kommen, aber sie wird auch Unternehmen wie unseres nach wie vor treffen. Das ist ein Thema, das wir an die Wirtschaftsprüfer auslagern. Die sollen das prüfen. Das ist keineswegs zufriedenstellend gelöst.
Die Bundesregierung muss in Europa mitreden. Man darf nicht mehr überrascht sein, was in Europa auf den Tisch gelegt wird. Man hätte frühzeitig dabei sein und es teilweise beeinflussen können, ob ein solches Gesetz überhaupt kommt. Das ist bis jetzt nicht gekommen. Es gibt nach wie vor die German Votes. Das heißt, die Regierung ist sich selbst nicht einig, was mit dem Gesetz passieren soll. Dann enthält man sich in Brüssel. Das ist tödlich für Unternehmen.
Dr. Ralf Wintergerst:
Ich habe auch das Gefühl, dass der EU-Omnibus nicht das hält, was man vorher versprochen hat.
Aber ich habe noch zwei Fragen zum Ende unseres Gesprächs, einmal einen Blick in die Zukunft: Mit Ihrer Erfahrung, gehen wir mal zehn Jahre vorwärts, stellen Sie sich Deutschland vor, und wir haben Modernisierung, Bürokratieabbau hinbekommen. Was wäre Ihr Bild?
Lutz Goebel:
Mein Bild wäre, dass wir vollständig digitalisiert sind, was die Kommunikation zwischen Bürgern, Wirtschaft und Staat anbetrifft. Dass wir nicht mehr aufs Amt müssen, dass wir vorausgefüllte Steuererklärungen bekommen, dass der Staat, der viele Daten hat – ich denke etwa an die Grundsteuer –, die auch bereitstellen kann, und der Bürger sie ihm nicht zur Verfügung stellen muss. Das ist meine Vision, aber das ist noch ein langer Weg.
Dr. Ralf Wintergerst:
Da muss ich mit einer persönlichen Frage abschließen. Als Unternehmer, so haben Sie es am Anfang gesagt, wo man Hebel bewegt und sich dann auch etwas bewegt, jetzt im Normenkontrollrat zu sitzen, wo das nicht so geschieht: Wie halten Sie persönlich Ihre Motivation hoch und machen weiter, weil es der Sache dient?
Lutz Goebel:
Das ist eine große Aufgabe. Als Familienunternehmerpräsident hatten wir eine klare Meinung, wo die Reise hingehen soll. Jetzt im Normenkontrollrat gibt es unterschiedliche Meinungen. Aber unser Rat – wir sind ja aus vier Parteien entsandt – ist der Sache verpflichtet: Wir wollen Bürokratie abbauen. Da sind wir alle zehn einer Meinung und machen gewaltig Druck. Das muss schneller wirken.
Wir werden sukzessive abgehängt, und das können wir uns als Land nicht leisten. Es gibt eine Ermittlung, dass etwa bei kleinen und mittleren Unternehmen die Bürokratie drei Prozent vom Umsatz ausmacht. Das frisst im Schnitt die Hälfte des Gewinns auf. Das können wir uns nicht erlauben, das geht auch besser. Da muss die Bundesregierung auch in andere Länder schauen. Zum Beispiel Dänemark ist da immer vorbildlich. Die haben keine komplexen föderalen Strukturen, das muss man dazu sagen. Aber die machen es einfach besser.
Dr. Ralf Wintergerst:
Vielen herzlichen Dank für das Gespräch.
Lutz Goebel:
Vielen Dank.