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Ralf Wintergerst trifft Volker Wissing

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Wintergerst: Sehr geehrter Herr Minister, lieber Herr Wissing, schön, dass wir uns zur zweiten Edition von „Wintergerst trifft Wissing“ treffen. Wir haben ja schon einmal miteinander gesprochen. Das hat sehr viel Freude gemacht. Und jetzt treffen wir uns Anfang des Jahres wieder. Bevor wir in die Details gehen, wäre meine Frage an Sie: Sie haben das Jahr ja fulminant gestartet. Sie waren bei der Consumer Electronics Show in Las Vegas. Die ist immer voller Eindrücke. Was haben Sie mit zurückgebracht?


Wissing: Also ich habe die Consumer Electronics Show jetzt zum dritten Mal in Folge mitgemacht. Das ist für mich ein sehr interessanter Jahresauftakt, weil ich einen Überblick bekomme. Was hat sich getan? Was haben wir vom digitalen Jahr 2025 zu erwarten? Und man kann auch rückblickend selbst überprüfen, ob die Erwartungen, die man im letzten Jahr hatte, was die Entwicklung der Digitalisierung angeht, ob die so verlaufen sind, wie man es erwartet hat oder nicht. Das ist sehr interessant. Und es war dieses Jahr wieder toll, dass die Bundesrepublik Deutschland einen Innovationspreis gewonnen hat. Sich international auszeichnen zu lassen für die Innovationskraft unserer Wirtschaft im Bereich der Digitalisierung, das ist etwas, was man gar nicht oft genug betont.


Wintergerst: Was genau war das mit dem Preis?


Wissing: Wir sind ausgezeichnet worden als innovatives Land, weil wir sehr viele Innovationen auf den Markt gebracht haben, weil Deutschland, was die Digitalisierung angeht, gut vorangekommen ist. Wir haben in den letzten Jahren ordentlich zugelegt, was die Breitbandverfügbarkeit angeht, was die mobile Konnektivität insgesamt angeht. Wir haben inzwischen ein sehr gutes Mobilfunknetz aufbauen können. Die Funklöcher verschwinden in Deutschland. Und die Flächenversorgung ist schon sehr gut. Gleichzeitig sind wir auch, was die digitalen Startups angeht, sehr gut aufgestellt, insbesondere im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Und wenn man schaut, wie groß das Gedränge an den Ständen der deutschen Aussteller auf so einer internationalen Messe ist, dann hört man schon: Wir spielen ganz vorne mit.


Wintergerst: Das heißt, wir sollten selbstbewusster sein, als wir uns manchmal behandeln oder wie wir uns ab und zu in deutscher Manier etwas runterreden. Aber vielleicht ist das auch der erste Punkt, zu dem ich gern sprechen würde. Wir sind ja an einem spannenden Zeitpunkt. Wir stehen vor einer Neuwahl. Die Legislatur war ein bisschen kürzer als gedacht. Aber Ihre Rolle im Kabinett war auch sehr besonders, weil Sie haben zwei ganz große Transformationsthemen auf Ihrer Agenda gehabt: die Verkehrswende und die Digitalisierung. Aus Ihrer persönlichen Rückblicksperspektive: Was waren die größten Erfolge? Ein paar Sachen haben Sie schon angedeutet. Aber wenn Sie da noch mal Revue passieren lassen, was ist gelungen?


Wissing: Im Verkehrsbereich ganz sicher die Brückensanierung im Autobahnbereich, die Sanierung unseres Schienennetzes und natürlich das Deutschlandticket, das sowohl ein Verkehrs- als auch ein Digitalthema ist. Das Deutschlandticket ist der Schlüssel zur Digitalisierung des ÖPNV. Und im Digitalbereich der Ausbau der Glasfaserversorgung, der Ausbau unseres Mobilfunknetzes und unsere Digitalstrategie, die die richtigen Schwerpunkte setzt, nämlich Datenverfügbarkeit, Interoperabilität. Das sind die Punkte, in denen wir vorangekommen sind. Aber es sind immer noch dicke Bretter, die man bohren muss, weil in Deutschland diejenigen, die sich oft in Sachen Digitalisierung am wenigsten bewegen, ganz gerne mit dem Finger nach oben auf den Bund zeigen. Wenn man überlegt, wie viele Verwaltungsdienstleistungen der Bund bereits voll digital anbietet und wie überschaubar das zum Teil im kommunalen Bereich ist, dann fragt man sich schon, wie man von dortiger Seite aus die Chuzpe haben kann, mit dem Finger auf den Bund zu zeigen.


Wintergerst: Unser geliebter Föderalismus ist nicht ganz einfach im Bereich der Digitalisierung. Aber ich muss Sie nochmal zitieren aus unserem ersten Gespräch. „Digitalisierung sollte man nie als Kostenfaktor begreifen, sondern als Hilfe, wettbewerbsfähig zu bleiben. Deswegen lohnen sich Investitionen in digitale Infrastrukturen und Prozesse.“ Da kann man nichts anderes dazu sagen. Aber sind Sie da immer so vorangekommen? Wo waren die Hürden, wenn es mal nicht geklappt hat? Ich glaube, das ist etwas, wo wir manchmal überkritisch reflektieren. Und manchmal, wenn man draufschaut, wo die Hürde war, kann man sie auch beiseiteräumen. Aber was waren die Hürden, die uns eigentlich im Weg standen?


Wissing: Ganz im Allgemeinen würde ich sagen, es gibt immer noch zu viele, die nach Gründen suchen, warum es nicht geht, anstatt einfach zu akzeptieren, dass es gehen muss. Und dass die einzige Aufgabe, die vor uns liegt, ist, einen Weg zu finden, wie es geht.


Wintergerst: Das kenne ich aus Unternehmen auch.


Wissing: Ja, klar. Also ich meine, es ist ja nicht so, dass die Digitalisierung nur eine staatliche Aufgabe ist. Es ist auch eine Aufgabe in den Unternehmen, für Digitalisierung zu sorgen, für Datenverfügbarkeit zu sorgen, auch diesen Geist einer digitalen Gesellschaft zu leben, dass wir Daten teilen müssen, dass wir uns nicht nur mit der Frage beschäftigen können, ob wir diese Daten nutzen, sondern die Verfügbarkeit von Daten auch für andere Geschäftsmodelle, die vielleicht im eigenen Bereich erst mal gar keine Rolle spielen. Auch das muss man mitdenken. Wenn wir digital sein wollen, brauchen wir den Rohstoff Daten.


Wintergerst: Absolut. Bleiben wir noch ein bisschen beim Rückblick. Gab es denn ein Lieblingsprojekt, was Sie hatten, was Ihnen so richtig Herzensfreude gemacht hat?


Wissing: Also ich mache das hier alles mit großer Leidenschaft, auch wenn ich manchmal so nachdenklich wirke. Aber ich finde, jedes Digitalisierungsprojekt ist etwas, wofür man sich begeistern kann, wenn man verstanden hat, was Daten für eine Verbesserung für die Gesellschaft bringen können. Und Daten verfügbar zu machen, ist sowas wie Goldschürfen. Und das ist das, was wir verstehen müssen in der Gesellschaft. Ich habe mich gefreut, dass man über das Deutschlandticket wirklich sagen kann, das ist die größte Digitalisierungsoffensive im ÖPNV gewesen. Das melden mir die Unternehmen zurück. Das freut mich natürlich. Und insgesamt freue ich mich auch, wenn wir einen Preis bekommen, wie jetzt bei der Consumer Electronics Show, weil es ja zeigt, dass wir international auffallen mit unserer Leistung. Ja, und die wirklich spürbar bessere Mobilfunkversorgung in Deutschland ist auch etwas, was die Menschen im Alltag sehr genervt hat und was jetzt signifikant besser ist. Das ist auch sehr schön.


Wintergerst: Mobilfunk ist ein gutes Stichwort. Da muss man den DESI-Index nochmal hervorholen, wo wir vom hinteren Mittelfeld auf Platz Nummer vier in Europa gekommen sind - mit der Chance, da hatten wir auch beide mal drüber geredet, dass wir unter die Top drei kommen, vielleicht sogar die Nummer eins werden, wenn wir denn in dem Tempo weitermachen. Ein bisschen was müssen wir noch tun, es bleibt immer was liegen. Vielleicht noch eine Rückblicksfrage neben dem Lieblingsprojekt: Was ist denn liegen geblieben, was Sie gerne gemacht hätten?


Wissing: Also es wäre schön, wenn wir mit der eID weiter wären. Das ist ein wirkliches Schlüsselprojekt, was wir haben. Also wir brauchen alle, alle Bürgerinnen und Bürger, so schnell wie möglich eine eID, um voll digital mit dem Staat kommunizieren zu können. Und das wäre etwas, was schneller vorangetrieben werden müsste. Das ist im föderalen Staat auch ein Kraftakt.


Wintergerst: Ja, es ist ein Kraftakt, weil technisch ist es kein Hexenwerk, aber die Umsetzung ist es. Dann sind wir schon bei der Umsetzungsgeschwindigkeit. Aber mit dem Vorteil des Rückblicks können wir die Brücke in die Zukunft schlagen. Jetzt haben Sie ein Bundesministerium gehabt mit Verkehrswende und Digitalstrategie. So auf dem Weg vorwärts: Soll das so beibehalten werden oder macht es Sinn? Wir haben als Bitkom ein eigenes Digitalministerium vorgeschlagen und damit Digital und Verkehr, weil es so große Themen sind, zu separieren.


Wissing: Also Digitales und Verkehr passt schon sehr gut zusammen. Also zum einen, weil die digitale Infrastruktur hier im Ministerium in der Hand von Infrastrukturexperten ist. Das ist das eine. Und zum anderen sind Digitalisierung und Mobilität auch ein Paar. Wir brauchen Digitalisierung, um multimodale Mobilität darstellen zu können oder handhabbar zu machen, also die Nutzung verschiedener Verkehrsträger für einen Weg von A nach B. Wir brauchen aber Digitalisierung auch sehr stark, um autonome Systeme voranzutreiben. Wenn man sich auf der Consumer Electronics Show umschaut in Las Vegas, sieht man, dort ist die Digitalausstellung auch zu einer Automobilausstellung geworden. Deswegen zieht mich dieser Ort auch immer so an Anfang Januar, weil er mich als Digitalminister und als Verkehrsminister fordert. Und autonomes Fahren oder teilautonomes Fahren wird uns deutliche Verbesserungen im Alltag bringen. Und deswegen finde ich, dass es schon sehr gut zusammen auch in einem Ministerium sich darstellen lässt.

Was ich allerdings machen würde, ist, die Kompetenzen im Digitalbereich noch weiter zu konzentrieren. Also das war schon ein wichtiger und richtiger Schritt, so vorzugehen. Vielleicht hätte man aber das eine oder andere noch stärker in meinem Hause bündeln sollen. Man muss allerdings sagen, wir haben die Zusammenarbeit im Bereich der Digitalpolitik so hinbekommen, dass wir da keine Reibungsverluste hatten. Und was auch nicht passieren darf, ist, dass sich der Fortgang der Digitalisierung an Haushaltsfragen entscheidet. Sondern es muss klar sein: Für Digitalisierung muss Geld da sein.


Wintergerst: Das stimmt. Also da verstehe ich den Politikbetrieb immer noch nicht gut genug, dass ich mir die Budgetierung vorstelle. Weil im Unternehmen aktiviert man Investitionen in die Zukunft. Ich weiß, dass das immer ein ganz beliebtes Thema ist, auch in der Diskussion, wie man vielleicht Budgets anders gestalten kann. Aber gerade digital, gerade IT braucht man den Vorwärtsblick. Und es ist ja im Kern ein Positivfall für alle.

Also Sie sagen: eigentlich eine gute Aufteilung, aber es braucht eine Evolution, eine Weiterentwicklung des Digitalbereiches, damit er durchschlagskräftiger wird, also in der Bündelung von Themen und Verantwortung.


Wissing: Aber man muss auch sagen, weil das in Deutschland immer wieder diskutiert wird: Ein Digitalministerium, das alle Fragen der Digitalisierung bearbeitet, ist unmöglich. Wir können nicht die Digitalisierung des Gesundheitswesens außerhalb des Gesundheitsministeriums organisieren. Dafür braucht man Fachkompetenz. Ein elektronisches Rezept kann man nur konzipieren, wenn man die Regulatorik hinter dem Apothekenwesen versteht und kennt. Ich würde auch sagen, dass wir in jedem Ressort eine Digitalkompetenz brauchen. Das würde ich schon so sehen.

Und man muss auch festhalten, so stark wie in Deutschland wurde die Digitalisierung in wenigen Ländern in Europa konzentriert. Hier wird oft in der öffentlichen Debatte der Eindruck erweckt, wir hätten da wenig Konzentration gehabt. Aber Länder wie Frankreich haben gar keinen eigenen Digitalminister. Das ist in vielen europäischen Ländern anders geregelt.


Wintergerst: Gut, der Eindruck kommt sicherlich dadurch, dass wir nicht so schnell vorwärtskommen. Das kommt sicherlich auch über den Föderalismus. Wir haben in jedem Bundesland Datenschutzbeauftragte, da haben wir vielleicht ein bisschen zu viel des Guten. Die Justierung wäre da wirklich ein ganz klarer Punkt. Aber ich frage Sie jetzt gar nicht nach Empfehlungen für das, was die zukünftige Regierung macht. Aber was sind aus Ihrer Sicht, die top 3-4 Themen, die „low-hanging fruits“ sind? Was würde man mitnehmen, wenn man jetzt nochmal neu aufsetzt?


Wissing: Wie gesagt, wir brauchen so schnell wie möglich eine elektronische Identität für jede Bürgerin und jeden Bürger. Also da würde ich sagen: Gas geben.


Wintergerst: Kann man gar nicht oft genug wiederholen.


Wissing: Das ist ein zentraler Schlüssel. Ansonsten, was die digitale Infrastruktur angeht, sind wir sehr gut aufgestellt. Und ich würde mir wünschen, dass wir einen digitalisierungsfreundlicheren Föderalismus leben würden. Also das ist schon anstrengend, wenn wir sehen, dass wir beispielsweise die digitale Kfz-Zulassung eingeführt haben, schon vor langer Zeit, aber sie immer noch nicht flächendeckend umgesetzt ist. Das ist schon ein bisschen fragwürdig. Und wenn ich mir dann anschaue, warum die Umsetzung nicht funktioniert, dann sind das oft Dinge, die einen sehr nachdenklich machen. Wenn beispielsweise Kommunalverwaltungen sagen, das ist uns mit der Datensicherheit so kompliziert oder sowas. Das finde ich schwierig. Also man muss schon erkennen, auf kommunaler Ebene, dass Digitalisierung eine Kernaufgabe der staatlichen Leistung ist. Und natürlich sind Datensicherheit und Datensicherungssysteme herausfordernd. Aber es gibt ja keine Alternative dazu, als sich dieser Herausforderung zu stellen. Also warum darüber klagen, warum das Ganze verzögern, warum nicht einfach sofort anfangen. Das ist etwas, was wir in Deutschland besser machen könnten. Aber da muss ich auch einmal, ohne jetzt auf die Kommunen zu schimpfen, auch einmal sagen, da liegt wirklich die Aufgabe vor Ort und nicht beim Bund. Und ich höre sehr oft, gerade von kommunaler Ebene: „Ja, wir müssten in Deutschland, der Bund müsste mehr, die Bundesregierung müsste mehr.“ Das Umsetzungsdefizit im Digitalbereich, das finden wir nicht auf Bundesebene. Die Verwaltungsdienstleistungen des Bundes sind schon nahezu alle digitalisiert.


Wintergerst: Ja, und man muss ergänzend sagen, es gibt in Deutschland Best-Practice-Lösungen für ganz, ganz viele Themen. Wenn man die schon nutzen würde, würde man schon eine Ecke schneller sein.


Wissing: Aber ich will auch nicht über die Kommunen schimpfen oder sowas. Ich will nur einfach sagen: Wir müssen aufhören, auf die anderen zu zeigen, sondern wir müssen vor allen Dingen dort, wo die Aufgaben sind und wo die Defizite sind, uns den Aufgaben stellen. Auf mich kamen Kommunen zu, die gesagt haben, die Anforderungen des BSI an Datensicherheit sind zu hoch, wir können das kommunal nicht umsetzen und deswegen machen wir keine digitale Kfz-Zulassung. Das finde ich ein bisschen traurig, weil es gibt ja keine Alternative dazu, das Ganze digital zu machen. Und es gibt auch nicht die Möglichkeit, auf Datensicherheit zu verzichten. Insofern gibt es nur die Lösung, sich ans Werk zu machen und dort, wo Kompetenzdefizite sind, diese Lücken zu schließen durch Fortbildung, durch Weiterbildung und so weiter.


Wintergerst: Diese gefühlte, ich spreche jetzt mal als Bürger des Landes, nicht so hohe Kooperationsbereitschaft zwischen Bund, Ländern und Kommunen, dass man doch immer wieder auf sich selbst schaut, dass man andere anfangen lässt: Wie kann man das knacken? Das ist auch ein gesellschaftliches Problem, das wir lösen müssen, denn eine Bundesregierung kann nicht jedes Problem lösen. Aber wie kriegen wir mehr Gemeinwohl- oder Gemeinsinn-Gedanken wieder hin? Das frage ich mich das sehr, sehr häufig. Haben Sie eine Idee oder einen Gedanken dazu?


Wissing: Wir müssten etwas selbstbewusster mit den Leistungen unseres Landes umgehen und uns wieder stärker mit der Frage beschäftigen, was sind die Stärken der Bundesrepublik Deutschland, was können wir besonders gut. Ich habe den Eindruck, immer mehr suchen nach den Schwächen unseres Landes und berichten gerne darüber und ärgern sich gerne darüber und frustrieren gerne darüber. Niemand kann alles am besten, aber wir können sehr viel sehr gut. Wenn wir uns mit diesen Themen beschäftigen und uns dann gegenseitig unterstützen, unsere Stärken auszuspielen, dann haben wir auch einen guten Schlüssel, um unsere Gesellschaft zu stärken, sie wieder dahin zu führen, wo sie eigentlich hingehört, nämlich in einen selbstbewussten Spitzenplatz im globalen Wettbewerb.


Wintergerst: Gehen wir mal auf Künstliche Intelligenz. Sie hatten die Künstliche Intelligenz als den großen Game Changer im Bereich des Digitalen bezeichnet. Das ist eine sehr bestimmende Technologie und die OECD bestätigt uns ja auch Stärken. Warum sind wir noch so langsam in der Anwendung von KI?


Wissing: Was ich jetzt gesehen habe bei der Consumer Electronics Show, das deutet nicht auf langsam hin, sondern das deutet schon darauf hin, dass wir einen enormen Sprung gemacht haben. Letztes Jahr haben wir gesehen, dass es sehr viele Geschäftsmodelle gab. Man hat überlegt, was kann Künstliche Intelligenz in welchen Bereichen machen und jetzt sieht man schon, dass Künstliche Intelligenz Spitzentechnologie voranbringt. Neue Dinge werden möglich. Man kann beispielsweise mit Kameras so gut arbeiten, dass man in vielen Fällen den Radar ersetzen kann. Man kann auf Linsen verzichten, um Bilder darzustellen, indem man Licht über eine besondere Technik auf intelligente Fotozellen lenkt und vieles mehr. Was ich dort gesehen habe, ist bahnbrechend und es werden auch die Anwendungsfälle sehr klar. Und was Künstliche Intelligenz auch kann, ist Digitalisierung leichter anwendbar zu machen. Das ist das Begeisternde an KI: Digitalisierung wird für jede und jeden stärker verfügbar. Deswegen ist sie auch ein Game Changer.


Wintergerst: Wir stehen noch vor der Einführung des KI-Aktes und in der Umsetzung. Was wären Ihre Hoffnungen? Was wären Ihre Befürchtungen?


Wissing: Meine Hoffnung ist die, dass wir die Umsetzung so bürokratiearm wie möglich gestalten und dass wir immer daran denken, dass diejenigen, die KI entwickeln, dass die sich mit ihren Geschäftsmodellen und ihren Technologien beschäftigen wollen und nicht mit der Auslegung von Rechtsfragen. Ganz wichtig wird sein, dass am Ende die Umsetzung so erfolgt, dass keine ungeklärten Rechtsfragen auftauchen, die es für Entwicklerinnen und Entwickler sehr unattraktiv machen, an einem Standort zu arbeiten, in dem sie sehr viel Geld in Rechtsberatung investieren müssen, anstatt in die Entwicklung ihrer Technologie. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Wir müssen generell von regulatorischer Seite nutzerorientierter denken. Das ist das, was uns die Digitalisierung vormacht. Und das ist auch das, was uns erfolgreiche Länder wie die USA vormachen. Vom User her Denken führt zu enormem Erfolg. Und wir müssen auch die Digitalisierung so gestalten, dass es für die Menschen einfacher wird.

So wurde das Deutschlandticket entwickelt, indem wir uns die Frage gestellt haben: „Wie können wir es denn den Menschen so einfach wie möglich machen, so den ÖPNV zu nutzen?“ Das heißt Flatrate, kurzfristige Kündigungsmöglichkeiten, keine lange Vertragsbindung. Einfach vom Nutzer her denken. Das können wir in vielen Bereichen noch besser machen. Wir hatten auch in der Steuerverwaltung schon Beispiele, wo man festgestellt hat, das ist zwar ein digitales System, aber es ist nicht vom Nutzer her gedacht und die Bürgerinnen und Bürger kommen damit nicht gut zurecht. Sowas führt zu Frustration. Userorientiertes Denken braucht auch die öffentliche Verwaltung.


Wintergerst: Da würde ich zustimmen.


Wissing: Das führt dann auch zu einer großen Akzeptanz. Ich habe früher mal Finanzpolitik gemacht und habe es oft erlebt, dass wenn man über Steuervereinfachung gesprochen hat, dass am Ende eine Vereinfachung für die Verwaltung erarbeitet worden ist. Das ist sicherlich auch wichtig, dass sich die Verwaltung nicht unnötig Arbeit macht. Aber noch wichtiger ist, dass es für die Bürgerinnen und Bürger einfacher wird.


Wintergerst: Stimmt. Noch so ein Bereich, der von Rechtsfragen umzingelt ist, ist das autonome Fahren. In San Francisco und anderen Städten fahren die Autos rum. Und wir haben auch eine große Automobilindustrie, die durchaus ihre Herausforderungen hat. Aber wann sehen wir in Deutschland die ersten autonomen Fahrzeuge, so wie wir das in San Francisco tun?


Wissing: Heute schon! Also in Hamburg fahren schon die gleichen Fahrzeuge oder mit ähnlich weitentwickelter Technik wie in den USA. Und wir sind, was das autonome Fahren angeht, unter den Pionieren der Welt. Deswegen sind wir auch eng vernetzt mit beispielsweise der Regierung in Washington, um die Regulatorik für das autonome Fahren gemeinsam zu entwickeln und voranzutreiben. Am Ende müssen diese Fahrzeuge nicht nur im Heimatmarkt bestehen, sondern sie müssen auch exportiert werden. Gerade beim autonomen Fahren oder auch beim Remote-Fahren ist Deutschland eines der führenden Länder. Ich habe gerade in den USA auch ein Unternehmen besucht, Vay, das seinen Sitz in Berlin hat. Das ist dort in den USA auch aktiv, um remote-gesteuerte Fahrzeuge so schnell wie möglich auf den Markt zu bringen. Gerade in diesem Bereich ist Deutschland einer der Global Player. Aber was wir noch besser machen müssen, ist, die Technik schnell in den Markt zu bringen.


Wintergerst: Das heißt, die deutschen Automobilhersteller müssen sich in anderen Märkten stärker engagieren, das dort zu machen, dass BMWs oder Mercedes in San Francisco fahren. Aber gut, das müssen die Unternehmen für sich lösen.


Wissing: Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen, oder die Automobilindustrie wird sich mit der Frage beschäftigen, welche Stufen von autonomem Fahren sind zu welcher Zeit attraktiv. Die Vorstellung, dass wir alle unsere Fahrzeuge, die wir heute selbst steuern, in einem Schritt auf vollautonome Fahrzeuge umstellen, ist nicht sehr realistisch. Aber solche Systeme wie Remote, das lässt sich auch in deutschen Automobilen sehr gut nutzen. Und am Ende wird sich jeder Verbraucher, jede Verbraucherin die Frage stellen: „Was kostet mich diese Technik zusätzlich und brauche ich sie tatsächlich?“ Wenn man selbst mit seinem Auto fährt, gibt es immer mindestens eine Person, die das Fahrzeug auch steuern kann. Und deswegen macht autonomes Fahren nicht für jede Fahrt Sinn - es sei denn, die Technik ist so preiswert zu haben, dass sich die Frage nach der Kostenrelevanz nicht stellt.


Wintergerst: Sind Sie persönlich denn der Selbst-Autofahrtyp oder würden Sie auch autonom fahren?


Wissing: Ich bin jemand, der gerne Fahrassistenzsysteme nutzt. Ich finde das großartig, was die modernen deutschen Autos haben, auf der Autobahn sehr stark unterstützt zu werden, auch „hands-off“ fahren zu können. Ich genieße das sehr. Ich halte das für viel entspannteres Fahren. Man konzentriert sich mit dem Blick auf die Straße, aber man muss nicht die Spur halten und kann seine Arme entspannt ablegen. Das finde ich sehr fortschrittlich. Aber man muss sich darüber im Klaren sein, wenn man beispielsweise als Berufspendler im Alltag 15 Minuten zum Arbeitsplatz fährt, dass es nur dann attraktiv ist, das mit einem autonom fahrenden Fahrzeug zu machen, wenn der Preisunterschied zu einem selbstgesteuerten Fahrzeug nicht sehr groß ist. Da sind wir noch nicht.


Wintergerst: Ich würde gerne auf ein paar persönlichere Punkte kommen. Als Teil des Kabinetts waren Sie auch im Ampel-Aus mittendrin. Wie haben Sie das denn erlebt, weil Sie ja auch zusätzlich noch aus der Partei ausgetreten sind? Das ist eine Frage, die mich ganz persönlich interessiert, und ich glaube viele unserer Hörerinnen und Hörer.


Wissing: Ich habe öffentlich gesagt, was ich davon halte. Ich glaube, dass unsere Gesellschaft durch das Scheitern dieser Ampel-Regierung ärmer geworden ist, weil wir eine Option der Zusammenarbeit demokratischer Parteien verloren haben. Und es wird auf absehbare Zeit eine Zusammenarbeit zwischen Grünen und FDP nicht geben können. Das heißt: Ein Jamaika-Bündnis ist in weiter Ferne, ein Ampel-Bündnis ist in weiter Ferne. Das finde ich schade, denn wir brauchen am Ende immer eine Regierung. Und ich glaube, dass viele übersehen haben, dass in einer Demokratie der Kompromiss immer das Ziel von Politik ist. Das Ziel ist der Kompromiss. Und dieser Spagat einerseits bei Wahlen als Partei ein eigenes Profil zu präsentieren, damit Bürgerinnen und Bürger auswählen können, am Ende aber andererseits nach einem Wahlergebnis zu akzeptieren, dass es keine eindeutige Richtung gibt, sondern dass unterschiedliche Positionen zu einem gemeinsamen Kompromiss finden müssen. Das ist nicht gut gelungen und das finde ich schade. Deswegen hat mich das nicht zufriedengestellt, dass man gesagt hat, die Parteien haben unterschiedliche Inhalte, deswegen können sie nicht zusammenarbeiten. Nein, man kann auch mit unterschiedlichen Inhalten zusammenarbeiten. Man muss nur Brücken bauen. Und wenn das anstrengend ist, dann ist es eben anstrengend. Aber Minister zu sein, heißt zu dienen. Und Dienen heißt auch, anstrengende Aufgaben zu erledigen. Wir können uns als Politikerinnen und Politiker keine Wahlergebnisse aussuchen, sondern der Souverän entscheidet. Und ich meine immer noch, dass es richtig gewesen wäre, diesen Auftrag bis zum Ende auszuführen - und habe mich persönlich dafür entschieden, das zu tun. Das war mit einer weiteren Mitgliedschaft in der Partei nicht vereinbar. Ich wollte ja keine Belastung für die Partei sein. Wenn eine Partei nicht mehr der Regierung angehört, aber ich als Person mein Amt fortführe, dann ist das unvereinbar mit der Parteimitgliedschaft. Deswegen habe ich so entschieden. Ich habe mich damit aber nicht von den Grundwerten der Freien Demokraten distanziert. Nur schauen Sie, die Demokratie lebt am Ende vom Ausgleich. Und wir neigen auch in der politischen Debatte zu sehr dazu, die Meinung anderer nicht mehr ertragen zu können. Diese Entwicklung, die wir in der Gesellschaft haben, die schwächt uns. Und ich teile auch nicht die Meinung vieler, dass wir in Deutschland disruptive Veränderungsprozesse brauchen. Ich glaube, dass es zur Stärke unseres Standortes gehört, dass wir eine sehr starke Kontinuität in der Politik haben.

Die Bundesrepublik Deutschland ist einer der attraktivsten Investitionsstandorte, weil unsere Verfassung die Disruption, die schlagartige Veränderung von Politik nicht unterstützt. Wir haben das Zwei-Kammer-System mit Bundestag und Bundesrat mit unterschiedlichen Wahlterminen, sodass immer ein großes Maß an Kontinuität gewährleistet ist. Und das ist eben nicht ein wirtschaftliches Problem, sondern das ist die Stärke. Man investiert lieber in einem Land, in dem man weiß, egal wie die nächste Bundestagswahl ausgeht, es gibt ein großes Maß an Kontinuität und damit an Verlässlichkeit und Investitionssicherheit am Standort.


Wintergerst: Ich habe noch nie so einen nachdenklichen Volker Wissing erlebt, so toll reflektierend. Ich hoffe, dass wir wirklich die Stabilität behalten, auch nach der nächsten Wahl. Die Umfragen sind sehr interessant. Aber wo sehen Sie sich im politischen Betrieb in der nächsten Legislatur?


Wissing: Ich selbst kandidiere nicht für den Deutschen Bundestag am 23. Februar und insofern habe ich jetzt mein Amt, solange bis eine neue Bundesregierung sich gefunden hat. Alles andere wird man sehen.


Wintergerst: Und wenn es ein Digitalministerium gibt, würden Sie dann zur Verfügung stehen?


Wissing: Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht und das ist jetzt nicht bei mir auf dem Schirm. Mir war es wichtig, dass ich die Verantwortung, die ich übernommen habe, nicht abgebe, ohne dass ich eine Begründung dafür vortragen kann, die ich aus tiefer Überzeugung teile. Das ist meine Form, mit Verantwortung umzugehen. Aber ich bin mit mir im Reinen und das ist mir wichtig.


Wintergerst: Lieber Herr Wissing, vielen herzlichen Dank für Ihre wirklich tiefe Einsicht, die Sie uns gegeben haben. Ich wünsche Ihnen ganz persönlich viel, viel Glück für das, was danach kommt. Das ist ja jetzt ein bisschen offen, so wie Sie es geschildert haben. Als Bitkom-Präsident Danke für die Teamarbeit, die Sie immer angestrebt haben im Kabinett, aber auch mit den Verbänden oder Parteien, die involviert waren. So habe ich Sie wahrgenommen. Dafür vielen herzlichen Dank!


Wissing: Den Dank gebe ich gerne zurück für die hervorragende Zusammenarbeit, und ich bin sicher, wir begegnen uns auch in Zukunft. Und das sehr gerne.