Berlin, 22. Juni 2023 - In Deutschlands Unternehmen wächst die Sorge, den Anschluss an ihre digitalen Wettbewerber zu verlieren. Eine deutliche Mehrheit (60 Prozent) der Unternehmen sieht aktuell Wettbewerber voraus, die frühzeitig auf die Digitalisierung gesetzt haben. Das ist ein Spitzenwert. Vor einem Jahr sahen erst 52 Prozent der Unternehmen ihre digitalen Wettbewerber davonziehen, vor fünf Jahren waren es sogar erst 37 Prozent. Das eigene Unternehmen halten derzeit zwei Drittel (64 Prozent) für einen Nachzügler bei der Digitalisierung, ein Drittel (35 Prozent) sieht sich als Vorreiter. Das sind Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von 602 Unternehmen ab 20 Beschäftigten in Deutschland im Auftrag des Digitalverbands Bitkom.
87 Prozent sind überzeugt, dass die Nutzung digitaler Technologien eine entscheidende Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft spielt, zugleich beklagen 76 Prozent, dass deutsche Unternehmen digitale Technologien zu wenig einsetzen. Das zeigt sich auch beim aktuellen Top-Thema Künstliche Intelligenz. Rund drei Viertel (72 Prozent) gehen davon aus, dass KI eine große Bedeutung für die künftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft hat, aber nur 15 Prozent nutzen KI im eigenen Unternehmen. Dabei haben ChatGPT und generative KI in 7 von 10 Unternehmen (71 Prozent) die unternehmensinterne Diskussion zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz beeinflusst. „Die Unternehmen haben die Bedeutung der Digitalisierung für die eigene Zukunft erkannt. Sie wissen aber offenbar nicht, wie sie die Digitalisierung angehen sollen. Für jedes einzelne Unternehmen wie für die deutsche Wirtschaft insgesamt muss es heißen: Die 2020er Jahre zur digitalen Dekade machen!“, fordert der neue Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst anlässlich der Vorstellung der Studie. „In der Vergangenheit war Deutschland das Land der Dichter und Denker. In Zukunft muss Deutschland das Land der Dichter, Denker und Digitalisierer sein.“
So groß die Einigkeit bei der Einschätzung der Digitalisierung insgesamt auch ist, so weit gehen die Meinungen bei Künstlicher Intelligenz auseinander. 54 Prozent sind sich sicher, dass KI die Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend verändern wird, aber 44 Prozent sehen eine solche Entwicklung nicht. 49 Prozent gehen davon aus, dass Unternehmen, die KI frühzeitig einsetzen, dadurch einen Wettbewerbsvorteil gewinnen – 44 Prozent glauben dies jedoch nicht. „Wohl noch nie gab es eine Phase, in der so viele neue Technologien so rasend schnell zum Einsatz kamen. KI erschafft Texte, Bilder und Musik. Sie erstellt Programmcode, entwickelt Arzneimittel oder konstruiert Maschinen. Jede und jeder kann die Einsatzfelder der KI selbst ausprobieren, fast täglich lesen und hören wir von neuen, spektakulären Entwicklungen“, sagt Wintergerst. „Der Einstieg in die KI wird immer leichter und einfacher. Vom Handwerksbetrieb bis zum Milliardenkonzern: Sinnvolle Einsatzszenarien gibt es für KI ausnahmslos überall.“
Die Chancen von KI-Anwendungen im eigenen Unternehmen werden von vielen Unternehmen dennoch aktuell eher zurückhaltend bewertet. Ein knappes Drittel (32 Prozent) sieht in KI sogar eher ein Risiko denn eine Chance für das eigene Unternehmen Immerhin 45 Prozent sagen, dass sich mit KI Kosten einsparen lassen. 41 Prozent meinen, durch KI die bestehende Fachkräftelücke zumindest teilweise schließen zu können. Gut jedes vierte Unternehmen (26 Prozent) sieht in KI eine Möglichkeit, gänzlich neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Unternehmen, die bislang keine KI verwenden, wollen daran so schnell auch nichts ändern. 16 Prozent meinen, dass KI für sie nie relevant sein wird, 25 Prozent gehen davon aus, KI erst in mehr als 20 Jahren einzusetzen, 29 Prozent erwarten den Einsatz in einer eher fernen Zukunft in 10 bis 20 Jahren. Im kommenden Jahr will dagegen nur 1 Prozent KI einführen, 3 Prozent in 1 bis 2 Jahren, 11 Prozent in 2 bis 3 Jahren und 3 Prozent in 3 bis 5 Jahren. 8 Prozent erwarten dies in 5 bis 10 Jahren. Wintergerst: „Das Bild von KI sollte sich in den kommenden Monaten verändern. KI kann einen enormen Innovations- und Effizienzschub auslösen. Je mehr KI-Anwendungen auf den Markt kommen, desto mehr Unternehmen sollten und – das ist meine Hoffnung – werden sie sich zu Nutze machen.“
Dabei ist KI nicht die einzige Technologie, bei der es eine Diskrepanz zwischen der wahrgenommenen Bedeutung für die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit und dem Einsatz im eigenen Unternehmen gibt. So sprechen 92 Prozent der Unternehmen Datenanalysen und Big Data eine große Bedeutung zu, aber nur 39 Prozent setzen sie ein. Robotik halten 86 Prozent für bedeutsam, doch nur 40 Prozent nutzen die Technologie. Ähnlich sieht es aus beim Internet of Things (84 Prozent große Bedeutung, 36 Prozent Einsatz), 5G (82 Prozent zu 23 Prozent), autonomen Fahrzeugen (76 Prozent zu 17 Prozent), 3D-Druck (74 Prozent zu 23 Prozent) sowie Virtual und Augmented Reality (67 Prozent zu 24 Prozent). Und bei neueren Technologien ist der Einsatz noch deutlich seltener: So nutzen gerade einmal 4 Prozent Blockchain-Technologie, obwohl ihr 67 Prozent eine große Bedeutung zusprechen. Und praktisch kein Unternehmen setzt Metaverse-Technologien selbst ein (1 Prozent), obwohl immerhin 36 Prozent ihnen eine große Bedeutung zuschreiben. „Wir müssen Deutschland in der digitalen Wirtschaft herausragend gut positionieren. Wir brauchen mehr Mut zum Digitalen, auch in den Unternehmen“, so Wintergerst.
Die Unternehmen spielen den Ball zurück und sehen Hindernisse für den Einsatz neuer Technologien nicht nur bei sich selbst, sondern ebenso in der Politik und in der Gesellschaft. So hat sich in 54 Prozent der Unternehmen der Eindruck verfestigt, dass die Politik versuche, den Einsatz digitaler Technologien eher zu verhindern als zu fördern. 52 Prozent meinen, dass die deutsche Bevölkerung bei neuen Technologien zunächst immer skeptisch sei. Und 46 Prozent erleben, dass im eigenen Unternehmen eher über Risiken digitaler Technologien als über Chancen diskutiert wird.
Zumindest an einigen Stellen im eigenen Unternehmen wird versucht, die Weichen auf digital zu stellen. So gibt es nur noch in 11 Prozent der Unternehmen keinerlei Digitalstrategie. Vor einem Jahr galt das noch für 13 Prozent, 2019 sogar für 26 Prozent. Zugleich haben aktuell 55 Prozent zumindest in einem oder mehreren Unternehmensbereichen eine Digitalstrategie, 32 Prozent besitzen eine unternehmensweite Strategie. „Viele Unternehmen führen offensichtlich zunächst eine Teilstrategie für die Digitalisierung ein, bleiben dort aber stehen, so dass es keine digitalstrategische Positionierung für das Unternehmen insgesamt gibt. Sinnvoll wäre, wenn so gut wie alle Unternehmen eine digitale Vision und Gesamtstrategie entwickeln würden“, so Wintergerst.
Eine knappe Mehrheit der Unternehmen in Deutschland (53 Prozent) will zudem im laufenden Jahr mehr in die eigene Digitalisierung investieren als noch 2022. 30 Prozent wollen die Investitionen konstant halten – und 16 Prozent planen Kürzungen. Für 2024 planen dann 28 Prozent höhere Ausgaben, und 23 Prozent niedrigere. Rund die Hälfte (46 Prozent) will die Investitionen stabil auf dem aktuellen Niveau halten. Wintergerst: „Digitalisierung lohnt sich, es gibt sie aber nicht zum Nulltarif. Das haben die meisten Unternehmen erkannt.“
Das größte Digitalisierungs-Hemmnisse ist aus Unternehmenssicht der Datenschutz, von dem sich 77 Prozent bei der digitalen Transformation behindert fühlen. Vor einem Jahr waren es 71 Prozent. Auch der Fachkräftemangel (64 Prozent; 2022: 55 Prozent) verschärft sich weiter. Dahinter folgen gleichauf mit je 54 Prozent die Anforderungen an technische IT-Sicherheit, fehlende Zeit und fehlende finanzielle Mittel – wobei knappe Mittel deutlich häufiger als Grund genannt werden als noch 2022 mit 43 Prozent. Ein Drittel (32 Prozent) beklagt langwierige interne Entscheidungsprozesse (2022: 24 Prozent). Kein verbreitetes Hemmnis sind dagegen eine mangelnde Bereitschaft der Belegschaft (12 Prozent) sowie Unsicherheiten über den wirtschaftlichen Nutzen der Digitalisierung (5 Prozent). „Ich wünsche mir mehr Deutschland-Tempo nicht nur bei der Digitalisierung der Verwaltungen, sondern auch bei der Digitalisierung der Unternehmen. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, wie schnell wir in Deutschland handeln können, wenn eine Krise es erfordert. Wir können Tempo, jetzt wollen wir zeigen, dass das auch für die Digitalisierung gilt“, so Wintergerst.
Die Chancen der Digitalisierung für Wirtschaft und Gesellschaft stehen auch im Mittelpunkt der hub.berlin am 28. und 29. Juni in der Station Berlin. Zu den Schwerpunktthemen gehören in diesem Jahr unter anderem Künstliche Intelligenz, das Metaverse, Mobility, digitale Technologien für mehr Nachhaltigkeit sowie digitale Souveränität und die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die digitale Welt. Auf der hub.berlin findet zudem der Startup-Wettbewerb Innovators‘ Pitch statt. Bei dem zweitägigen Business-Festival werden mehr als 200 internationale Sprecherinnen und Sprecher dabei sein. Telekom-Chef Timotheus Höttges eröffnet die hub.berlin, Jonas Andrulis von Aleph Alpha schaut in die Zukunft generativer KI, Dessi Lange-Damianova gibt Einblicke in die Arbeit von Bellingcat. Die CDOs der Deutschen Bahn und von Zeiss sind dabei, Daniela Gerd tom Markotten und Susann Stefanie Breitkopf, sowie die Chefin des Lufthansa Innovation Hub, Christine Wang. Für die Politik treten unter anderem auf Bundesfinanzminister Christian Lindner, der Vizepräsident, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Volker Wissing und der Bundesvorsitzende von Bündnis 90 / Die Grünen, Omid Nouripour. Neben dem Konferenzprogramm bietet die hub.berlin einen interaktiven Ausstellungsbereich, den Karrierebereich hub.career sowie ein Digital Arts Lab, in dem Grenzgänger zwischen Technologie und digitaler Kunst ihre Arbeiten zeigen. Alle Informationen zur hub.berlin gibt es online unter hub.berlin. Eine Akkreditierung für Pressevertreter ist möglich unter hub.berlin/media-access.
Grundlage der Angaben ist eine Umfrage, die Bitkom Research im Auftrag des Digitalverband Bitkom durchgeführt hat. Dabei wurden 602 Unternehmen ab 20 Beschäftigten in Deutschland telefonisch befragt. Die Umfrage ist repräsentativ.