Synthetic Reasoning [Sy] zählt zu den Schlüsselkomponenten intelligenter Systeme. Reasoning bezeichnet dabei die Fähigkeit, aus Daten mit Hilfe eines Modells neue Erkenntnisse abzuleiten. Synthetic Reasoning [Sy] schließt von bekannten Fakten einer Situation auf das komplexe Ganze. So kann z. B. von einzelnen, gegebenenfalls im Widerspruch zueinander stehenden Richtlinien darauf geschlossen, ob ein Versicherungsfall gedeckt ist. Die Zubereitung von Speisen ist ein gutes Beispiel aus dem Alltag: hier wird vom Geschmack einzelner Zutaten auf das Geschmackserlebnis eines Gerichts geschlossen.
Typische Einsatzfelder für Synthetic Reasoning [Sy] sind Geschäftsprozesse und Anwendungen, die komplexe intellektuelle Leistung voraussetzen. Dies gilt z. B. für Business Intelligence und Analytics, bei denen Einzelergebnisse verknüpft und neue Erkenntnisse gewonnen werden. Gleiches gilt für Empfehlungsmaschinen, die Kunden auf Basis ihrer Interessen Produktvorschläge unterbreiten. Im Compliance Management – also bei der Überwachung von Risiken und der automatischen Identifikation von Regelverstößen – wird ebenfalls Synthetic Reasoning [Sy] eingesetzt. In Anwendungen für digitale Arbeitsplätze erhalten Mitarbeiter auf Basis ihres Tätigkeitsprofils auf ihren konkreten Kontext abgestimmte Entscheidungsvorlagen. Schließlich findet das KI-Element Anwendung im Bereich Medizin und Pharma etwa bei der Entdeckung neuer Wirkstoffe und in der Entwicklung medizinischer Assistenzsysteme.
Für die Funktionsweise von IBM Watson oder Apple Siri spielen Techniken des Synthetic Reasoning [Sy] eine große Rolle (vgl. Spivack , 2009). Derzeit ist der manuelle Aufwand noch hoch, um die Qualität von Synthetic Reasoning [Sy] zu garantieren. Eines der zentralen KI-Ziele und Forschungsgegenstand der kommenden Jahre wird es sein, explizites Wissen in Form von Wissensdatenbanken, Synthetic Reasoning [Sy] und Deep Learning miteinander zu verbinden.
Die DARPA hat im Jahr 2017 den Begriff »explainable AI« (XAI) geprägt und initiierte ein vierjähriges Projekt zu diesem Thema. Den gesellschaftlichen Diskurs um KI bestimmen in letzter Zeit zunehmend Forderungen nach Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Erklärbarkeit. Das spiegelt sich auch in der neuen Europäischen Datenschutzgrundverordnung wider: Werden eine automatisierte Entscheidungsfindung und Profiling angewendet, muss der Betroffene über die besondere Tragweite und die angestrebten Auswirkungen solcher Verfahren informiert werden. Diese Informationspflicht erstreckt sich auf Angaben zur verwendeten Logik oder über den Algorithmus.
Synthetic Reasoning [Sy] setzt voraus, dass Daten, Regeln und Teilmodelle sinnvoll in Einklang gebracht werden. Inferenz, wissensbasierte Systeme und das Folgern und Argumentieren beschäftigen die Forschung in der KI von Anfang an. Die Grenzen zu Explanatory Inference [Ei] und Predictive Inference [Pi] sind fließend. Inferenztechniken benutzen die gleichen Basisfähigkeiten, jedoch entlang einer zeitlichen oder kausalen Achse. Beispiele hierfür sind die Ursachenfindung eines Fehlers in einer Anlage oder in einer Prozesskette durch Rückwärtsschließen mit Explanatory Inference [Ei] oder die Simulation der Folgen des Ausfalls einer Maschinenkomponente durch Vorwärtsschließen Predictive Inference [Pi]. Das Synthetic Reasoning [Sy] arbeitet demgegenüber entlang eines Teile-Ganzes-Zusammenhangs. Neuere Forschung zeigt die enge Verbindung zu Lerntechniken wie dem Knowledge Refinement [Lt] und Relationship Learning [Rl]. Die Kombination mit Text Extraction-Verfahren Text Extraction [Te] findet in der Praxis bereits erfolgreiche Anwendungen. Sprach- und Bilderkennung sowie die Sensorik liefern die Wissens- und Datenbasis für Synthetic Reasoning [Sy]. Die Elemente der Response-Kategorie dienen dazu, die Folgerungen zu kommunizieren und die gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen.
Bei Synthetic Reasoning [Sy] handelt es sich nicht um eine Anwendung, sondern eine Fähigkeit, die in KI-Systemen genutzt wird. Diese Anwendung wird durch eine Komponente namens Reasoner durchgeführt, der aus einer Wissensbasis unter Anwendung von Ableitungsregeln neues Wissen erzeugt. Beispiele von globalen Unternehmen, die Synthetic Reasoning [Sy] in Ihren Technologien verwenden, sind unter anderem Apple mit Siri, Amazon mit Amazon Echo und IBM mit Watson. Im deutschsprachigen Raum sind intelligent views mit i-views, semafora mit Ontobroker, arago oder die Semantic Web Company mit Pool Party zu nennen. Der Weiteren verfügen Ontologie-Editoren wie TopBraid Composer und Protegé über Reasoning-Funktionen.
Es gibt keinen genau abgrenzbaren Markt für Synthetic Reasoning [Sy]. IBM Watson und Apple Siri, für die Synthetic Reasoning [Sy] eine große Rolle spielt, weisen jedoch auf die große wirtschaftliche Bedeutung hin. Isoliert lässt sich Synthetic Reasoning [Sy] in Bezug auf Marktvolumen und Dynamik nicht betrachten, jedoch wird es als Schlüsselfähigkeit für automatisiertes Entscheiden die Entwicklung des Gesamtmarktes für KI-Technologien mitbestimmen.
Die Domäne des Synthetic Reasoning [Sy] sind intellektuelle Schlussfolgerungen. Das unterscheidet Synthetic Reasoning [Sy] von reinen Wahrnehmungsaufgaben wie Bild- oder Spracherkennung. Das Synthetic Reasoning [Sy] operiert häufig auf anwendungs- und unternehmensspezifischem Fachwissen. Damit entstehen beim Aufbau von Synthetic Reasoning-Fähigkeiten stets Aufwände durch die Modellierung von Unternehmens- und Prozesswissen. Synthetic Reasoning [Sy] kann dabei helfen, Vertrauen in KI zu stärken, da es nachvollziehbare und erklärbare Erkenntnisse auch aus kleinen Datenmengen ableiten kann. Insbesondere im Bereich Compliance müssen automatische Entscheidungen erklär- und nachvollziehbar bleiben.
Forschung und Entwicklung im Bereich des Synthetic Reasoning [Sy] werden in Deutschland u. a. von IBM, intelligent views, dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, der Fraunhofer-Gesellschaft, den Hochschulen in Karlsruhe, Bonn und Leipzig und dem HPI in Potsdam vorangetrieben. Eine Vielzahl vielzitierter Publikationen von Deep Mind und anderen forschungsnahen Unternehmen der letzten Jahre bestätigen die Bedeutung von Synthetic Reasoning [Sy].